Interview mit Gabriella Wollenhaupt

 

(c) Gabriella Wollenhaupt

(c) Gabriella Wollenhaupt

1952 geboren, Vater Offizier, Mutter Hausfrau. Abitur, Studium, Volontariat bei einer Tageszeitung. Nach zehn Jahren Zeitung zum WDR, zunächst Hörfunk, dann Fernsehen in der aktuellen Berichterstattung. 25 Grappa-Krimis, Drehbuch zu einem Tatort, Gedichte, Kurzgeschichten und historische Krimis (zusammen mit ihrem Ehemann Friedemann Grenz)

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Nein. Ich schreibe weder für die Ewigkeit noch für den Pulitzer-Preis. Wer z. B. den Erfolg von Fitzek anstrebt, muss auch seine Grausamkeiten schreiben. Das liegt mir nicht. Ich komme vom Journalismus, also von der Tagesaktualität. Als ich mich von der Printpresse trennte und zum Funk ging, vermisste ich die Möglichkeit, Themen ganz ausführlich zu bearbeiten. Im Funk schreibt der Journalist meist Meldungen, die aus wenigen Zeilen bestehen. Ich hatte einfach das Bedürfnis, wieder etwas Längeres zu schreiben, packte meine Reiseschreibmaschine ein und fuhr nach Teneriffa. Als ich zurückkam, hatte ich den ersten Roman im Gepäck. Aber inzwischen habe ich den Eindruck, dass mehr Menschen Bücher schreiben, als lesen. Besonders, seitdem es die Selfpublisher bei amazon gibt.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Ich habe zum Glück ein Stammpublikum. Zu den Premierenlesungen kommen immer noch Leute, die ich schon vor 25 Jahren dort gesehen habe. Das Schönste an den Bestsellerlisten ist die Rollbahn von Denis Scheck, über die er die gute Hälfte dieser Bücher mit originellen Kommentaren im Orkus versenkt. Viele Bestseller werden durch Anzeigen, also mit Geld hochgedrückt. Das hat mit Qualität nichts zu tun. Außerdem gibt es zahlreiche Netzwerke, in denen die Bestsellerautoren „ausgesucht“ werden. Ich nenne sowas Manipulation. Und wer da nicht drin ist, hat kaum Chancen.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Wenn es hakt, denke ich an Heinrich von Kleists Aufsatz: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. Und spreche mit meinem Mann. Der ist Fachmann für Texte und hat an meinen historischen Krimis mitgeschrieben. Aus dem Gespräch entsteht ganz von selbst die Lösung des Knotens. Wenn ich in einer Buchproduktion bin, schreibe ich einfach weiter – auch wenn ich spüre, dass es nicht gut ist. Ich weiß, dass ich den Text am Morgen danach besser mache.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Ich bin da altmodisch. Für mich ist ein Autor jemand, der für sein Manuskript von einem Verlag Geld bekommt und nicht Geld mitbringt, damit da etwas gedruckt wird. Natürlich bin ich im Internet präsent durch meine Homepage und seit einiger Zeit auf Facebook. Aber ich setze dafür weder viel Zeit ein, noch schreibe ich dort viel über meine literarische Produktion. Aber das kann sich bald ändern, denn ich höre auf, in meinem Beruf als Fernseh-Journalistin zu arbeiten.

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Marketing ist Sache des Verlags, nicht des Autors. Neulingen würde ich erst mal raten, sich mit ihren Texten auseinanderzusetzen. Ich werde von Neulingen oft als erstes gefragt, wieviel Geld man mit Büchern verdienen kann. Das ist schade.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Mich inspiriert die Wirklichkeit, nicht die Schreibweise von Vorbildern. Als Journalistin informiere ich mich über die Ereignisse in der Welt überdurchschnittlich gut. Diese Ereignisse finden ihren Weg in meine Bücher. Wenn ein Kandidat für ein kommunales Amt mit einer Prostituierten im Auto erwischt wird oder die Stadtsekretärin ihren Drogenkonsum mit Geld aus einem Reptilienfonds finanziert, dann erkennen sich diese Leute in meinem nächsten Roman wieder. Diese Personen sind übrigens überall so. Politiker sind in Bayern genauso wie in NRW – nur, dass sie anderen Parteien angehören. Geldgier, Korruption, Hass, Missgunst, Rachsucht und Gewaltbereitschaft sind gleichmäßig in der Welt verteilt.

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Das geht auf die von mir eben erwähnten Netzwerke zurück, in die Autoren und Rezensenten verflochten sind. Natürlich werden der neue Walser und der neue Grass an prominenter Stelle von bekannten Kritikern rezensiert. Wenn ein Newcomer mit breiten Ellenbogen in den Mittelpunkt dieser Szene will, muss er eklige Einzelheiten über seinen Unterleib berichten. Oder er schreibt ein fabelhaftes Buch wie Stieg Larsson oder Frank Schätzing. Auch das hilft nicht immer. Robert M. Pirsigs Welterfolg mit dem wunderbaren Titel „Zen and the Art of Motorcycle Maintenance“ wurde von 121 Verlagen abgelehnt und hat sich doch durchgesetzt.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Ich habe meine Anfängerfehler als Journalistin gemacht und sie wurden mir ausgetrieben von meinen Chefredakteuren. Der größte Fehler von Autoren ist, nicht zu erkennen, dass Änderungsvorschläge von Erstlesern oder Lektoren immer im Interesse der Qualität des Textes gemacht werden. Mein Mann sagt immer: Wenn jemand eine Stelle anmeckert, dann ist dort etwas nicht optimal. Es muss nicht genau das sein, was angemeckert wird, aber irgendeinen Fehler hat die Stelle. Man muss kritikfähig sein. Leider behaupten Abzockverlage gern gegenüber Möchtegernautoren, dass sie kein Lektorat brauchen, um schneller an deren Geld zu kommen.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Wenn ich in meinen Büchern erotische Szenen brauche, dann meist so, dass sich die Ich-Erzählerin über die Verrichtungen der beteiligten Personen amüsiert. Wenn die Erzählerin selbst Sex hat, wird das angemessen beschrieben – mit einem guten Schuss Selbstironie. Schwer tun würde ich mich bei der Beschreibung von Gewalt wie Folterszenen. Aber das muss man ja nicht ausmalen. Es genügt, das Ergebnis zu benennen.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

Ich gehe schwierigen Themen nicht aus dem Weg. Ich habe über Neo-Nazis, Scientology, Antisemitismus, Islamisten, Amok an Schulen, Schwulenhass und die schwierige Integration der Roma und anderer Zuwanderer geschrieben. Wichtig ist dabei, dass bei all diesen Themen das Problem mit dem Licht der Menschlichkeit beleuchtet wird. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Das möchte ich auch von den Kollegen erwarten.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Ich bin Frühaufsteher und mein Mann Spätschläfer. So schreibe ich vor dem Dienst im Sender. Er liest die Sachen dann nachts. Ende März gehe ich in Rente. Wie es dann wird, muss sich zeigen.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Das aktuelle Buch heißt „Grappa und die stille Glut“ und behandelt die Themen Stalking und Rache für erlittenes Unrecht. Es erscheint im Mai.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.


 

Gabriella Wollenhaupt im www