Interview mit Jutta Nymphius
Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?
Oh ja, natürlich. Allerdings richte ich dabei den Blick weniger auf die Konkurrenz als vielmehr auf die Leserinnen und Leser: Welche gute Geschichte wurde (so) noch nicht erzählt, die die Kinder interessieren, fesseln, bereichern könnte?
Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?
Alles, was Bücher ins Gespräch bringt, hilft dem Markt und allen Beteiligten. Ein wirkliches Problem wäre ja mangelnde Aufmerksamkeit. Allerdings sollte es neben solchen Rankings auch immer andere Foren geben, die sich differenzierter mit dem Medium auseinandersetzen und damit auch Newcomer oder „Außenseiter“ berücksichtigen.
Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?
Weg vom Schreibtisch, raus, sich Wind, Wetter, Regen aussetzen! Mit nach innen gerichtetem Blick Runde um Runde drehen, Beine in Bewegung halten, bis der Kopf wieder klar und frisch ist und man den verhunzten Plot entkrampft, die verlorengegangene Figur wiedergefunden hat.
Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?
Schwer zu sagen, gerade im Kinder- und Jugendbuch kommt es immer sehr auf die Zielgruppe des einzelnen Buchprojektes an. Vielleicht 20% bis 30 % meiner Gesamtarbeitszeit.
Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?
Für Kinder- und Jugendbuchautoren ganz klar: Lesungen, Lesungen, Lesungen! Denn sie sind so viel mehr als nur ein Marketinginstrument! Wie ticken Kinder in dem und dem Alter, welche Trends, Interessen, Modewörter, angesagte Kleidung … gibt es momentan? Welche Inhalte, Szenen kommen besonders gut an, welche gar nicht? All dies erfahre ich auf Lesungen, sammle hier also entscheidendes Material für meine Bücher. Und ganz nebenbei betreibe ich Leseförderung, für mich ein wichtiges Anliegen.
Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?
Das sind und waren weniger einzelne Schriftsteller als vielmehr eine Vielzahl von Leseerlebnissen in meiner Kindheit. Woche für Woche schleppte ich Bücherstapel aus der Stadtbibliothek nach Hause, deckte mich mit genügend Nahrung ein, um den Sitzplatz nicht mehr verlassen zu müssen, und war dann für viele Stunden nicht mehr ansprechbar. Ich habe viele Geschwister, es gab wenige Rückzugsorte für mich, aber die Bücher ermöglichten es mir, meine ganz eigene Welt zu betreten und zu erforschen, aus der mich niemand vertreiben konnte und in der mir sonst niemand etwas zu sagen hatte. Ein spezielles Buch ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben: „Krabat“ von Otfried Preußler, das ich bestimmt sechs- der siebenmal gelesen habe.
Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?
Ich kann hier nur für die Kinder-und Jugendliteratur sprechen: Diese fristet ohnehin ein Schattendasein. Es wäre schön, wenn sie erst einmal überhaupt regelmäßig Einzug in die Feuilletons hielte, sie die gleiche Berücksichtigung wie die Erwachsenenliteratur fände. Die Besprechung von Newcomern wäre dann schon der nächste Schritt.
Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?
Der größte Anfängerfehler: Zu glauben, man könne Anfängerfehler vermeiden! Es fällt ohnehin kein Meister vom Himmel, aber ein Schriftsteller schon mal gar nicht! Üben, üben, üben heißt also die Devise, und das heißt mit Worten zu experimentieren, Formulierungen auszuprobieren, mit Ideen zu spielen. Dabei kommen dann auch mal Texte heraus, die, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade publikationsreif sind und getrost diverse Schubladen oder gar Papierkörbe füllen dürfen. Ein vermeidbarer Anfängerfehler wäre es dann höchstens, diese Texte einem Verlag anzubieten.
Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?
Durchweg lustige Szenen zu schreiben, die nicht aufgesetzt wirken, finde ich schwer. Ich tue mich leichter, wenn ein Hauch von Melancholie oder eine gewisse Absurdität mitschwingt.
Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?
Als Kinderbuchautorin fühle ich mich durchaus auch für die Vermittlung von Werten verantwortlich. Hinsichtlich ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten würde ich daher nie Partei ergreifen. Alle sind gleich und haben die gleichen Rechte. Genau das erwarte ich auch von anderen Autoren.
Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?
Wie schön, jetzt geben Sie mir Gelegenheit, mich mit einer Literaturnobelpreisträgerin zu vergleichen! Denn Alice Munro konnte nach eigenem Bekunden auch nur Kurzgeschichten und keine langen Romane schreiben, weil sie drei Kinder zu versorgen hatte. Genauso geht es mir auch: Durch meine drei noch schulpflichtigen Kinder ist der Tag vorbestimmt und ich grätsche mit meiner Arbeit in jede Nische hinein: Wenn das Nudelwasser noch nicht kocht, die Waschmaschine läuft, die Kinder beim Sport sind … kann ich schreiben. Und natürlich abends, ganz viel abends.
Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?
Mein voraussichtlich nächstes Buch ist eines, das mir sehr, sehr am Herzen liegt! Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt es die Geschichte von einem kleinen, aber überaus mutigen Jungen, der eine Entscheidung trifft, die sein ganzes Leben verändern wird … Das Buch wird „Hotel Wunderbar“ heißen und 2016 im genauso wunderbaren Tulipan Verlag erscheinen.
Fabelhafte Bücher: Mit bedanken uns herzlich für das Gespräch.
Na, aber gern!
Jutta Nymphius im www
Infos zur Autorin
Kurzbiografie
- Geboren 1966 in Bremerhaven
- 1985-1990 Studium der Italianistik, Hispanistik und Germanistik in Köln (M.A.), darunter 1 Studiensemester in Florenz
- 1991 Volontariat im Lektorat des Schulbuchverlages Dürr & Kessler bei Bonn
- 1992 Übernahme als Lektoratsassistentin
- 1993-1994 Lektorin im Verlag an der Ruhr, Mühlheim
- 1995-1996 Kinderbuchlektorin im Patmos Verlag in Düsseldorf
- Seit 1997 freiberuflich tätig als Lektorin, Autorin und Übersetzerin von Kinder- und Jugendbüchern
- Seit 2010 Zusammenarbeit mit der Münchener Literaturagentur erzähl:perspektive.