Interview mit Ruben Wickenhäuser
Ruben Philipp Wickenhäuser ist promovierter Geschichtswissenschaftler und konnte bisher über 20 Titel vorlegen, darunter Romane für Erwachsene und Jugendliche, Sach- und Fachbücher. Er ist Mitherausgeber dreier historischer Gemeinschafts-romane im Aufbau-Verlag. Gemeinsam mit Titus Müller initiierte er den Autorenkreis Historischer Roman Quo vadis. Er lebt mit seiner Familie in Mittelschweden und führt die dort bislang unbekannte Sportart Jugger ein, über die er auch geschrieben hat.
Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?
Falls ich etwas abschweifen dürfte: Unser Problem erscheint mir nur bedingt die Masse der Neuveröffentlichungen zu sein. Wiewohl sie natürlich dadurch Schaden verursacht, daß sie das Buch zu etwas Vergänglichem wie Milch macht. Ich sehe mehr den selbstverschuldeten Zwang zur Konformität seitens der Verlage als Herausforderung: Das Hinterherdrucken hinter dem gerade aktuellen Bestseller, das Duckmäusertum vor angeblichen Wünschen der Leser: Beispielsweise, daß die Hauptfigur eine Frau sein müsse, daß Mädchen lesen würden und nicht Jungen und daher die Geschichte »auch für Mädchen« passend geschrieben sein soll. Ja gar daß männliche Autoren unter weiblichem Pseudonym schreiben sollen, wie es ein geschätzter Kollege getan hat. Das alles ist absurd.
Dann sind da noch die Verlage als Unternehmen. Vieles haben sie zu guten Teilen selbst verschuldet. Sie sind es, die sich nicht miteinander solidarisieren und deswegen Online-Buchhändlern traumhafte Druckmittel an die Hand geben. Hätten seinerzeit nach dem Bann des Diogenes-Verlags beispielsweise Verlage wie Carlsen gesagt, Lieber Online-Buchhändler, nimm das sofort zurück und mach vernünftige Konditionen oder du bekommst unseren Harry Potter beziehungsweise Bestsellertitel soundso nicht, dann sähe die Welt anders aus. Aber so kann man nur sagen: Hört auf zu jammern, ihr habt es euch so erarbeitet. Was nun die Lage für die Autoren nicht besser macht.
Daß viele Kolleginnen und Kollegen eine reichlich naive Weltsicht haben, hat ihre vasallenhafte Solidarisierung mit dem Aufruf »Wir sind die Urheber« eines Agenten seinerzeit beispielhaft bewiesen. Wir dürfen uns also ebenfalls getrost an die eigene Nase fassen.
Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?
Es gibt sie halt. Über Qualität sagen sie nicht aus.
Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?
Weniger um sich selbst kreisen.
Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?
Wird es wirklich erwartet? Die zentrale Frage sollte lauten: Ab wann leidet das Buch unter dem – vielleicht ja von der Leserschaft gewünschten – Narzissmus seines Autors?
Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?
Man sollte meines Erachtens auf die eigene Persönlichkeit schauen – was ist am glaubwürdigsten, sprich, was paßt zu mir? Womit kann ich persönlich am besten arbeiten? Lesungen, Facebook, Pressebeiträge, Abtauchen?
Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?
Das ist abhängig vom Genre, in dem ich schreibe. Mein größtes Vorbild im Allgemeinen ist José Saramago. Der Mann mit dem großartigsten Stil auf Erden.
Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?
Ist das so? Natürlich werden Bekannte wiederholt besprochen. Natürlich passiert da Blödsinn, wenn beispielsweise in einer der besten Literatursendungen unserer Zeit ein Bestsellerautor über den Palästina-Konflikt interviewt wird, nur weil er ein im übrigen reichlich jovialer Bestsellerautor ist und keineswegs sichtbar kompetent. Es ist halt Show-Business.
Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?
Einfach anfangen und sehen, ob es läuft. Dann erst nach Verlagen suchen. Und inzwischen nicht davor zurückschrecken, ein eigenes Print on Demand-Buch/ebook ins Auge zu fassen. Mittlerweile gibt es entsprechende Verlagsdienste mit hervorragenden Konditionen. Wenn man sich sicher ist, dann kann man sich auch um bessere Werkzeuge zum Schreiben als die Standardprogramme kümmern, das macht den Kopf frei für Wichtigeres.
Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?
Glauben Sie den Kollegen wirklich, daß ihnen ausgerechnet Sex-Szenen schwerfallen? Schwerfallen sollten ihnen besonders farbenreiche oder beschauliche Szenen, insbesondere, wenn sie aneinander anschließen. Sonst werden sie ruckzuck zu unerträglichem Kitsch. Was Sex-Szenen wohl nicht unbedingt ausschließt.
Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?
Gerade heutzutage wird die politische Rolle der Schriftsteller immer wichtiger. Natürlich auch dann, wenn man ihr nicht gerecht wird und nicht etwa wegen unseren etwaigen hohen Standards in dem Bereich. Ein Beispiel: Wir können nicht den schwarzen Peter dem Islam zuschieben und gleichzeitig dulden, daß unsere Bündnispartner foltern wie im tiefsten Mittelalter, mißliebige Regime stürzen, nach Gutdünken Männer, Frauen und Kinder mit Drohnen ermorden und das Ganze naßforsch unter „der Kampf der Guten“ oder euphemistisch als „Terrorbekämpfung“ verbuchen. Durch die Duldung solcher Kriegsverbrechen tragen wir Mitschuld an dem Terror, der nun zu uns herüberschwappt. Was den einen die Drohnen sind den anderen die Selbstmordattentäter. Auf solcherlei Komplexität hinzuweisen, Kriegsrhetorik als solche zu entblößen, ist vornehmste Pflicht der Schriftstellerei.
Es ist die immanente Verantwortung der Schriftsteller, die diesen Namen verdient haben, sich um Politik zu kümmern, und zwar dort, wo es wehtut. Dem Mainstream hinterherlaufen und vor kritischen Themen kuschen gehört also nicht dazu. Ebensowenig die Selbstgeißelung mit unzulänglichen Sprachgenderideologien. Wir brauchen kritische, aber reflektierende Literatur, und daher also auch kompetente Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die tatsächlich etwas zu sagen haben. Will sagen, ein Studiengang Schriftstellerei ist ein Widerspruch in sich. Lebenserfahrung, durchaus auch in Studium, Lehre oder Beruf angeeignetes Wissen, kritisches Hinterfragen sind die Eckpfeiler der Schriftstellerei, im Gegensatz zum beliebigen Unterhaltungsschrieb. Da werden viele Kollegen sagen, wieder die Aufteilung in U und A, aber darum geht es nicht. Auch Unterhaltung kann bewegen, neue Perspektiven oder Mißstände aufzeigen, auch dann ist sie gute Schriftstellerei. Ganz abgesehen davon, daß U-Schriftsteller im Allgemeinen wohl bessere Chancen auf gute Einkünfte haben als ihre anspruchsvollen Kolleginnen und Kollegen und deswegen eine Neiddebatte wenn, dann eher andersherum zu führen wäre.
Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?
Ich arbeite an einem Buch für jüngere Leserinnen und Leser, das sich um meine Lieblingssportart Jugger, einer Kombination aus Rugby und Fechten mit künstlichem Hundeschädel als Ball, in der Unterwelt des heutigen Berlin dreht. Dann noch eine Horrornovelle in Schweden, und weitere Dinge.
Fabelhafte Bücher: Mit bedanken uns herzlich für das Gespräch.
Gern geschehen!
Ruben Wickenhäuser im www