Biografie – Joseph Roth: Der Lebenslauf als Abfolge von Fiktionen
Moses Joseph Roth war ein österreichischer Schriftsteller und Journalist jüdischer Abstammung. Zu seiner Herkunft kann man wahlweise die nüchternen Fakten heranziehen oder einer seiner zahlreichen erfundenen Lebensläufe. Demzufolge wäre er z. B. der Sohn eines Wiener Waffenfabrikanten oder eines polnischen Grafen. In Wahrheit war er der Sohn von Maria Grübel, die aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammte und von Nachum Roth, einem Getreidehändler. Nachum Roth veruntreute bei einer Gelegenheit Waren und geriet dabei in eine Kette von Ereignissen, an deren Ende er zunächst in eine Anstalt für Geisteskranke übergeben wurde, nur um dann zu Unrecht – den er war und blieb geisteskrank – entlassen zu werden. Eigentlich verwunderlich, dass Roth bei einer so abenteuerlichen Geschichte noch das Bedürfnis hatte, selbst Varianten seines Vaters zu erfinden.
Beim Geburtsort hat man wiederum die Wahl zwischen der Realität – Roth stammte aus dem zu Österreich-Ungarn gehörenden Brody, Galizien. Er behauptete jedoch später, in Szwaby, nahe Brody, geboren zu sein.
Was den Verlauf seiner Kindheit angeht, kann man davon ausgehen, dass die Familie finanziell gut versorgt war. Die Familie hatte eine Dienstmagd und der kleine Phantast erhielt Geigenunterricht. Demgegenüber steht die zweifelhafte Roth’sche Behauptung, in Armut und unter prekären Bedingungen aufgewachsen zu sein.
Nach dem Abitur wechselte Roth seinen Wohnsitz und zog zunächst nach Lemberg um die dortige Universität zu besuchen und Germanistik zu studieren. Er lebte in dieser Zeit bei seinem Onkel, dem Kaufmann Siegmund Grübel. Da die Universität und überhaupt das Umfeld in Lemberg spannungsgeladen waren, setzte Joseph Roth sein Studium ab 1914 in Wien fort. Unmittelbar darauf zog auch seine Mutter nach Wien, da sie sich dort angesichts des Ersten Weltkrieges sicherer wähnte. In dieser Zeit war die Familie zunächst tatsächlich knapp bei Kasse. Später erhielt Roth ein Stipendium und fand Anstellung als Hauslehrer bei der Gräfin Trautmannsdorff. Roth stand nun finanziell wieder besser da und versuchte sich in dieser Zeit als Dandy.
Im ersten Weltkrieg neigte der Schriftsteller zunächst zum Pazifismus. Angesichts seines Umfeldes hielt er diese Haltung nicht lange durch und meldete sich nach einiger Zeit freiwillig zum Kriegsdienst. 1916 begann er eine entsprechende Ausbildung. Später berichtete Roth durchaus lebhaft von seinen eindringlichen Erfahrungen als russischer Kriegsgefangener. Dem gegenüber steht die nüchtere Recherche von Historikern, derzufolge Roth niemals in Kriegsgefangenschaft war. Bemerkenswert ist, dass es Roth in Hochstaplermanier gelang, sein gesamtes Umfeld davon zu überzeugen, dass er als Offizier gedient hatte. Tatsächlich war er ein sog. Einjährig-Freiwilliger, der in der Hierarchie dem einfache Soldaten entsprach.
Während seines Militärdienstes begann Roth bereits damit, kurze Artikel für die Feuilletons verschiedener Zeitschriften zu schreiben. Später veröffentlichte er Romane. Bestseller wurden die Bücher nie, doch zählen einige Werke heute zu den Klassikern der deutschsprachigen Literatur. 1919 wurde er Redakteur bei der Tageszeitung „Der Neue Tag“. Die Zeitung stellte jedoch schon 1920 den Betrieb ein und Roth siedelte nach Berlin über. Da man in Deutschland die erfundenen und widersprüchlichen Aspekte seines Lebenslaufes mit wenig Humor zur Kenntnis nahm, hatte Roth zunächst Schwierigkeiten, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Doch gelang es ihm auch hier, als Journalist Fuß zu fassen.
Im März 1922 heiratete er in Wien Friederike Reichler, die später geisteskrank wurde und den Nazis zum Opfer fiel.
1925 zog Roth als Korrespondent der Frankfurter Zeitung nach Paris. Von der Stadt war er begeistert, jedoch die Frankfurter Zeitung wohl nicht von ihm: Ein Jahr später wurde er ersetzt. Allerdings gewährte die Zeitung ihm großzügige Budgets für Reisereportagen. In diesem Zusammenhang reiste er nach Jugoslawien, nach Polen, nach Italien und in die Sowjetunion. Etwa zu dieser Zeit begannen gesundheitliche Probleme seiner Frau, Friedl Roth. Friedl zeigte Symptome einer geistigen Erkrankung und wurde in eine Nervenheilanstalt überwiesen. Joseph Roth kam mit dieser Krise nicht gut zurecht und wandte sich verstärkt dem Alkohol zu. 1940, nachdem Friedl Roth verschiedene Nervenheilanstalten in Österreich besucht hatte, wurde sie von den Nazis ermordet. Joseph Roth hatte schon 1935 die Scheidung eingereicht.
1933, genauer gesagt am 30.01.1933, dem Tag an dem Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, verließ der Schriftsteller Deutschland und wandte sich wieder Paris zu. Derweil wurden bei den Bücherverbrennungen der Nazis auch Roths Bücher „berücksichtigt“. Später mietete er mit Hermann Kesten, Manga Bell und Heinrich Mann ein Haus in Nizza, an der Cote d‘ Azur.
Zu Roths bekanntesten Werken zählt der „Radetzkymarsch“, ein Werk über den Zerfall Österreich-Ungarns. Reich-Ranicki zählt ihn zu den wichtigsten Romanen in deutscher Sprache. Der „Radetzkimarsch“ war nie im modernen Sinne ein Bestseller, doch ist seine Bedeutung bis heute unbestritten. Das Werk wurde auch für einen Film adaptiert und ist als Hörbuch erhältlich. Beim „Projekt Gutenberg“ ist das Buch zudem als eBook verfügbar.
Roths letzte Lebensjahre waren von Krankheit und finanziellen Engpässen gekennzeichnet. Der Schriftsteller, der sich seinem Umfeld mal als Katholik, mal als Angehöriger des jüdischen Glaubens zu erkennen gab, starb 1939 im selbstgewählten Pariser Exil an den Folgen einer Lungenentzündung.
Rahmendaten:
Geboren am 2. September 1894
Geboren in Brody, Ostgalizien
Gestorben am 27. Mai 1939 in Paris, Frankreich
Bücher Roths, die man gelesen haben sollte:
Zitate, die Joseph Roth zugeschrieben werden:
„Österreich-Ungarn, das war jenes Stück Land, das der liebe Gott Kaiser Franz Joseph anvertraut hatte.“
„Sie glauben gar nicht, welch ein elender Abklatsch schlechter Romane das Leben ist.“
„Nicht nur Siegesalleen – auch Bedürfnisanstalten können die Gesinnung eines Volkes charakterisieren.“
Autor: Beste Bücher