Miriam Pharo, im spanischen Córdoba geboren und auf der Ile d’Oléron, südlich von La Rochelle aufgewachsen, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Indieautoren. Die Berliner Senatsverwaltung berief sie Anfang 2010 in die Jury des Förderwettbewerbs „Evolving Books – Digitaler Mehrwert für Bücher“. Einige ihrer Werke veröffentlicht die kreative Autorin mit dem Hamburger ACABUS Verlag, z.B. die Hanseapolis-Reihe, die, wie der Name schon andeutet, im Hanseatischen Raum spielt, doch auch Osaka, München und der Mond kommen als “Drehorte” vor. Zurzeit schreibt Pharo, die ihre Thriller mit Vorliebe in die Zukunft verlegt, an einem fantastischen Roman, der im Paris der 20er Jahre spielt.
Beste Bücher: Wenn es um Indieautoren und eBooks geht, wird der Öffentlichkeit hierzulande ein schizophrenes Bild geboten: Einerseits präsentieren bekannte Medienhäuser wie DER SPIEGEL die Tellerwäscher-zum-Millionär-Storys von Selfpublishern wie Amanda Hocking, die erfolgreicher sind als viele Verlagsautoren. Andererseits nehmen just dieselben Medien solche Autoren in den Bestsellerrankings nicht wahr. Warum diese Ignoranz?
Miriam Pharo: Ich denke, es ist ein normales Phänomen, schließlich ist die Indie-Szene noch relativ jung und schwer zu fassen. Medien wie DER SPIEGEL tun sich naturgemäß damit schwer, schließlich entstammen sie einer klassischen Verlagsstruktur. Sie müssen selbst zusehen, wie sie ihren Platz in der digitalen Welt finden. Da sind Indie-Autoren erst einmal Nebensache, zumal sie für die wenigsten Leser da draußen ein Thema sind. Wer online unterwegs ist und sich mit dem Thema beschäftigt, weiß einiges darüber, den Rest der Republik interessiert es schlichtweg nicht.
Beste Bücher: Muss man nicht vielleicht auch die Genres wenigstens zum Teil mit verantwortlich machen? Leicht verdauliche Unterhaltungsliteratur, z. B. aus dem Fantasybereich, liegt bei eBooks im Trend. Sie genießt aber auch nicht dasselbe Ansehen, wie Romane, die gesellschaftliche Themen verarbeiten. Von Liebesromanen ganz zu schweigen.
Miriam Pharo: Ja und nein. Thriller und Liebesromane liegen bei den eBook-Verkäufen ganz weit vorne. Schauen wir uns aber die klassischen Bestsellerlisten an, sieht es nicht viel anders aus. Zurzeit verspielt die Indie-Szene ihre Chance auf Kreativität und damit auf die Möglichkeit, eine inhaltliche Sonderstellung in den klassischen Medien zu erlangen. Mehr Mut zum Experiment, mehr interessante Genre-Mixe à la Jasper Fforde wären für mich persönlich ein Gewinn. Natürlich gibt es Autoren, die ungewöhnliche Ideen zu Papier bringen. Weil sie sich aber schlechter verkaufen – die Indie-Szene unterscheidet sich da kaum von der klassischen Verlagsbranche – geraten sie nicht in den Fokus der Medien und kommen erst recht nicht in die Nähe einer Bestsellerliste. Eine schwierige Sache.
Beste Bücher: Ein Thema, das Indieautoren ebenso wie die ganze eBook-Branche umtreibt, ist der Preis. Also wenn Du an die 99-Cent-eBooks denkst, oder an die Kindle-Tages-Deals: Wie beurteilst Du das?
Miriam Pharo: Ich bin da zwiegespalten. Die Kindle-Tages-Deals finde ich in Ordnung. Mit 99 Cent eBooks habe ich meine Probleme. Wenn man bedenkt, dass viele Autoren an einem 300-Seiten-Roman ein Jahr lang arbeiten und diese dann für 99 Cent verhökern – dafür bekommt man in der realen Welt nicht einmal einen Kaffee – dann werde ich richtig wütend. Nicht nur, dass die Arbeit nicht wertgeschätzt wird, die Preise machen den Markt kaputt und fördern eine Fastfood-Mentalität. Die Folge für Autoren: In kürzester Zeit so viele Bücher raushauen wie möglich. Meine ISAR 2066 Episoden z. B. sind im Verhältnis relativ teuer, doch ich wehre mich mit Händen und Füßen dagegen, sie für Billiggeld zu verkaufen. Wobei ich 1,49 EUR bzw. 2,99 EUR nicht als wirklich teuer ansehe, aber in vielerlei Hinsicht gilt das schon als kostspielig. Verlagspublikationen kosten das Vielfache und werden trotzdem gekauft. Warum? Weil man das Geld ausgibt, wenn man etwas unbedingt haben will. Das Problem bei Indie-Autoren ist natürlich, dass in der Regel kein Geld für Marketing vorhanden ist. Also kann man keine horrenden Preise verlangen. 99 Cent müssen trotzdem nicht sein. Für eine Kurzgeschichte, ja. Für einen Roman auf gar keinen Fall!
Beste Bücher: Wenn wir mal eine provokant zugespitzte Kritik äußern dürfen: Wenn eBook-Autoren ihre ohnehin nicht-stofflichen Produkte zu Preisen aus dem 1-€-Shop anbieten, sollten sie sich vielleicht nicht wundern, wenn z. B. der SPIEGEL nicht bereit ist, diese mit gebundenen 25 €-Werken von Jonathan Franzen & Co. in ein Ranking zu stellen!
Miriam Pharo: eBooks werden in der Regel konsumiert. Um es einmal überspitzt auszudrücken: Man geht mit weniger Ehrfurcht an ein Textdokument heran als an ein schönes, geprägtes Hardcover. Man kauft sich das eBook, kann sofort loslegen – es gibt also auch keine länger anhaltende Vorfreude -, im Idealfall gefällt es einem, wenn nicht, gibt man es einfach zurück und bekommt das Geld sogar erstattet, und ab zum nächsten. Ist ja so schön billig. Man ist weniger bereit, sich mit anstrengenden Themen zu beschäftigen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich besitze selbst ein eBook-Lesegerät und schätze es auch sehr, zumal ich schlechte Augen habe und es mir das Lesen erleichtert. Ich beschreibe hier meine eigenen Verhaltensmuster.
Letztens habe ich ein Hardcover geschenkt bekommen, wunderschön gestaltet. Bevor ich das Buch aufgeschlagen habe, bin ich mit den Fingern darüber gefahren, habe im Licht bewundert, wie die geprägten Buchstaben changierten. Danach habe ich die Seiten aufgeschlagen, den unverwechselbaren Duft eingeatmet. Es war wundervoll! Inzwischen steht das Buch bei mir im Regal an vorderster Stelle. Fehlt nur noch, dass es von oben angeleuchtet wird! Viele eBooks sind mit Fastfood zu vergleichen. Sie sind billig und schmecken gut. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Um auf den SPIEGEL zurückzukommen: Auch wenn das „Restaurant“ mit dem großen goldenen M beliebt ist, würde keiner auf die Idee kommen, es in den Guide Michelin aufzunehmen. Und das ist wertfrei gemeint: Mal hat man Lust auf ein Entrecôte in Senfsauce, mal auf einen Burger. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Indie-Szene mehr Entrecôte in Senfsauce zaubert. Oder politisch korrekt gesprochen: Sesampfannkuchen auf Austernpilzen.
Beste Bücher: Wie wird nach Deiner Einschätzung der eBook-Trend – im Verein mit den von Verlagen emanzipierten Indieautoren – die Verlagswelt beeinflussen?
Miriam Pharo: Momentan sieht es nicht so aus, als würde der eBook-Trend die Verlagswelt fundamental beeinflussen. Warum auch? Erfolgreiche Indie-Autoren erhalten Verlagsverträge, die Genres stimmen in beiden Welten praktisch überein, nur dass die Indie-eBooks günstiger zu haben sind. Die großen Überraschungen bleiben aus. Vor einem Jahr hätte ich vielleicht anders gesprochen, doch zurzeit sehe ich keine Umwälzung. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal kurz auf die Vorteile des Indietums zurückkommen, weil mir das wirklich am Herzen liegt. Wie oben bereits mehrmals erwähnt, würde ich mir mehr Experimentierfreudigkeit wünschen. Der Hauptvorteil für einen Indie-Autor liegt nicht unbedingt in der größeren Rentabilität, sondern vor allem in der inhaltlichen Unabhängigkeit. Er kann wortwörtlich rumspinnen. Ich persönlich fahre zweigleisig. Meine Romane erscheinen im klassischen Verlag, während ich meine ISAR 2066 Geschichten bewusst in Eigenregie als eBooks und Hörbücher publiziere. Wenn ich darin eine Figur als Rosine im Trenchcoat bezeichnen und einer anderen „Oaschloch“ in den Mund legen will, kann mich niemand davon abhalten. Herrlich!
Als Indie-Autor bist du in der Lage, aktuelle Geschehnisse aufzunehmen und direkt umzusetzen. Bei einer Verlagspublikation kann es schon mal zwei Jahre dauern, bis ein Buch erscheint. Es ist ein langwieriger Prozess. Ich kann heute eine Kurzgeschichte über den Taksim-Platz in Istanbul schreiben und sie morgen bereits veröffentlichen. Das ist der wahre Geist der Indie-Literatur und ich hoffe, dass er sich durchsetzen wird. Denn nur dann werden die Werke von Indie-Autoren die Branche bereichern.
Beste Bücher: Immerhin waren die Verlage für die Qualitätskontrolle gut. Auch wenn bei denen sicher vieles nicht durch die Firewall kam, was wohl veröffentlichungswürdig war und umgekehrt Werke gefördert wurden, die besser nie das Tageslicht gesehen hätten. Über das Selfpublishing wird natürlich jetzt auch viel, viel Unsinn publiziert. Brauchen wir Qualitätsstandards und wie könnten die aussehen?
Miriam Pharo: Gute Frage. Lange war ich der Meinung, dass es keine Zensur geben sollte, schließlich soll sich die Indie-Literatur frei entfalten können und nicht Restriktionen wie in Verlagen ausgesetzt sein. Ich bin davon ausgegangen, dass sich der Markt selbst reguliert. Der Leser ist nicht doof. Der merkt schnell, ob ein Buch ordentlich geschrieben ist. Das Problem ist, dass im letzten Jahr die Anzahl der schlechten Bücher so signifikant zugenommen hat, dass die junge Indie-Szene kurz davor gewesen ist, einen irreparablen Schaden zu nehmen. In vielen Leserforen war zu lesen, dass eBooks von Indie-Autoren ein No-Go war und dass die ersten Versuche einer Annäherung kläglich gescheitert waren. Die Folge: Nie wieder eBooks von Indie-Autoren!
Inzwischen bin ich Mitglied bei den Qindies, einer Gruppe von Autoren, Lesern und Bloggern, die Werke auf Stil und Sprache überprüft und bei positiver Beurteilung mit einem entsprechenden Qualitätslabel versieht. Der Inhalt der Bücher spielt bei der Bewertung keine Rolle, Geschmack ist subjektiv, vielmehr sollen korrekte Rechtschreibung, Syntax usw. gewährleistet werden. Der Leser soll wissen, dass er für sein Geld ein handwerklich einwandfreies Produkt erhält. Das ist das Anliegen. Qindie besteht erst seit dem 1. Mai und es gilt, noch einige Kinderkrankheiten auszumerzen, dennoch glaube ich, dass es eine sehr sinnvolle Initiative ist. Ich habe eh den Eindruck, dass sich die Qualität im Indie-Bereich verglichen mit 2012 enorm gesteigert hat. Auch, weil viele Verlagsautoren auf den Trichter gekommen sind.
Beste Bücher: Kommen wir zur letzten Frage. Im Web gibt es manchmal eine Diskussion, die wir ziemlich abstrus finden: Der Kampf Papierbuch gegen eBook. Viele hängen sich z. B. dieses „i pledge to read the printed word“-Button auf ihren Blog. Wir finden das eBook ist längst etabliert, aber weniger als Alternative, denn als Ergänzung. So wie Taschenbücher die gebundenen Ausgaben ergänzt haben. Wie siehst Du das? Geht mit dem eBook das traditionelle Buch unter?
Miriam Pharo: Das traditionelle Buch wird meines Erachtens nicht untergehen, sondern zum Sammlerstück idealisiert werden. Eine Zeitlang werden beide Varianten nebeneinander bestehen. Irgendwann wird das eBook, in welcher Form auch immer – es ist klar, dass es nicht bei dieser konventionellen Form bleiben wird, dafür wird das technische Potenzial zu wenig genutzt – das gedruckte Buch komplett ersetzen. Es wird länger dauern als bei Schallplatte und mp3, denn das gedruckte Buch hat eine jahrhundertelange Tradition, während die Schallplatte eine relativ neue Erfindung ist. In meinen Romanen, die allesamt in der Zukunft spielen, liegen Bücher in verschlossenen Vitrinen aus. Jeder liest digital und Leser von gedruckten Büchern gelten als Sonderlinge. Dafür kann es aber passieren, dass erfolgreiche eBooks als limitierte Sonderausgaben in Papierform erscheinen. Es mag vielen nicht gefallen, aber ich glaube, dass diese Zukunft nicht aufzuhalten ist.
Beste Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch und wünschen Dir weiterhin viel Erfolg.
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