Sie ist doppelt erfolgreich – als Verlaugsautorin und als Indieautorin. Daneben engagiert sie sich im Internet für die Qualität des Genres: Die umtriebige Susanne Gerdom. Sie lebt und arbeitet am linken Niederrhein, schreibt seit vierzehn Jahren vor allem Fantasy, zuerst für Erwachsene (Heyne/Piper), inzwischen vorrangig für Jugendliche (arsEdition – „Das Haus am Abgrund“, Ueberreuter – „Æethermagie“). Seit 2012 ist sie auch als Indie-Autorin im Netz zu finden, die erste eigenständige Selbstpublikation war das „Projekt Armageddon“. Außerdem unternahm sie erste Schreibversuche außerhalb des fantastischen Genres unter dem Pseudonym „Franziska Hille“ – auch dies als „selfpublishing“. Aktuell arbeitet sie an „Dracyr – Das Herz der Schatten“ (cbj) und „Æthermagie 2“ (Ueberreuter).
FaBü: Wenn es um Indieautoren und eBooks geht, wird der Öffentlichkeit hierzulande ein schizophrenes Bild geboten: Einerseits präsentieren bekannte Medienhäuser wie DER SPIEGEL die Tellerwäscher-zum-Millionär-Storys von Selfpublishern wie Amanda Hocking, die erfolgreicher sind als viele Verlagsautoren. Andererseits nehmen just dieselben Medien solche Autoren in den Bestsellerrankings nicht wahr. Warum diese Ignoranz?
Susanne Gerdom: Die Frage müsstest du eigentlich besagten Medien stellen, nicht uns Autoren. Ich persönlich habe keine Ahnung, warum die klassischen Medien alles ignorieren, was nicht per Publikumsverlag in die Welt gelangt. Denkfaulheit? Bequemlichkeit? „Was nicht bei Holtzbrinck, Random House, Bertelsmann, Bonnier erschienen ist, kann nicht gut sein“? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus all dem plus der Tatsache, dass Entwicklungen der letzten Jahre, gerade was die elektronischen Medien angeht, schlicht verschlafen werden.
Wenn die Frage allerdings reduziert lautet: Wieso tauchen E-Books nicht in der Spiegelbestsellerliste auf, dann ist die Antwort ganz einfach. Diese und ähnliche Listen werden über die Verkaufszahlen des stationären Buchhandels gespeist und gelten ausschließlich für Hardcover. (Deshalb erfanden die Verlage die Hybridform der Klappenbroschur, um so auch mit Taschenbuchneuerscheinungen „listenwürdig“ zu werden.)
FaBü: Muss man nicht vielleicht auch die Genres wenigstens zum Teil mit verantwortlich machen? Leicht verdauliche Unterhaltungsliteratur, z. B. aus dem Fantasybereich, liegt bei eBooks im Trend. Sie genießt aber auch nicht dasselbe Ansehen, wie Romane, die gesellschaftliche Themen verarbeiten. Von Liebesromanen ganz zu schweigen.
Susanne Gerdom: In den Bestsellerlisten (klassische Medien) und in den E-Book-Rankings des oberen Bereichs finden sich in der Mehrzahl identische Genres: Leicht verdauliche Unterhaltungsliteratur, vorneweg Thriller und Liebesromane. Möglicherweise ist das im E-Book-Bereich etwas stärker fantastisch gewichtet, was sicherlich an der etwas anders gelagerten Struktur der internetaffinen Leser liegt. Zudem darf man nicht vergessen, dass ungefähr 25% der Bücher, die über den stationären Buchhandel gehen, „Geschenkbücher“ sind. Da fallen dann all die Promi-Biographien usw. drunter, die ja auch gerne die oberen Ränge besiedeln. Ich könnte mir vorstellen, dass die in E-Book-Rankings deutlich schlechter abschneiden. Du befragest hier gerade die Ex-Buchhändlerin, stelle ich fest.
FaBü: Ein Thema das Indieautoren ebenso wie die ganze eBook-Branche umtreibt, ist der Preis. Also wenn Du an die 99-Cent-eBooks denkst, oder an die Kindle-Tages-Deals: Wie beurteilst Du das?
Susanne Gerdom: Die Kindle-Gratisaktionen dienten bis Ende 2012 dazu, ein E-Book im Ranking nach oben zu bringen (und damit in den sichtbaren Bereich.) Dort blieb der Titel dann auch noch ein paar Tage nach dem Ende der Gratisaktion und hat somit schöne Verkaufszahlen generiert. Seit Amazon das verhindert (ein Buch verschwindet nach Beendigung der Aktion wieder ins Nirvana), sind Gratisaktionen meines Erachtens sinnlos geworden. Deshalb suchen Self-Publisher jetzt nach anderen Möglichkeiten, ihre Bücher sichtbar zu machen. Eben über Preisaktionen. Kann man sicher so machen, auch Verlage nutzen diese Möglichkeit. Wer allerdings über mehrere Plattformen vertreibt, muss dabei beachten, dass überall der gleiche verminderte Preis auftaucht, und zwar gleichzeitig. (Wegen des Preisbindungsgesetzes.)
Ansonsten: 99 Cent für ein E-Book sollte für mein Gefühl immer nur ein Aktionspreis sein (außer, es handelt sich um eine veröffentlichte Kurzgeschichte). Wenn wir Autoren jetzt auch noch selbst anfangen, unsere Werke zu verschleudern, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Leser denken: „was nichts kostet, ist nichts wert“.
Was schade ist: Deutschland mit seiner schwerfälligen Preisbindung, die den stationären Buchhandel schützt, ist unbeweglich für all die interessanten Experimente, die man im Elektrobuchbereich machen könnte. Kapitelweiser Verkauf, „Humble Bundles“, das Angebot an die Käufer: Zahl für das Buch, was es dir wert ist, das Austesten, zu welchem Preis ein Buch von den Käufern am besten angenommen wird – das ist hierzulande schwer oder gar nicht zu verwirklichen.
FaBü: Wenn wir mal eine provokant zugespitzte Kritik äußern dürfen: Wenn eBook-Autoren ihre ohnehin nicht-stofflichen Produkte zu Preisen aus dem 1-€-Shop anbieten, sollten Sie sich vielleicht nicht wundern, wenn z. B. der SPIEGEL nicht bereit ist, diese mit gebundenen 25 €-Werken von Jonathan Franzen & Co. in ein Ranking zu stellen!
Susanne Gerdom: Was der Spiegel, wie gesagt, eh nicht täte. Weder E-Books noch Taschenbücher tauchen in dieser Liste jemals auf, ob nun verlagsgebunden oder nicht. Aber natürlich stimmt der Gedanke dahinter: Ein Buch sollte seinen Preis wert sein. Das gilt in beide Richtungen!
FaBü: Wie wird nach Deiner Einschätzung der eBook-Trend – im Verein mit den von Verlagen emanzipierten Indieautoren – die Verlagswelt beeinflussen?
Susanne Gerdom: Das ist schwer zu sagen. Die Grenzen sind ja durchlässig. Viele Indie-Autoren sind eigentlich „Hybridautoren“, die mit einem Bein im Verlagsgeschäft, mit dem anderen im selfpublishing stehen. Die Printverlage haben immer noch ein wenig Berührungsängste, was das E-Book angeht. Verlags-E-Books haben das Manko, dass sie preislich wenig unter dem Printbuch verkauft werden, also eigentlich viel zu teuer, und damit keine nennenswerte Größe darstellen. Ich wage zu behaupten, dass E-Books für die klassischen Verlage relativ uninteressant sind. Anders sieht es natürlich bei E-Book-Verlagen aus, die ja in den letzten beiden Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen – manchmal als Ableger von Printverlagen, aber in der Regel als eigenständige Konstrukte. Hier entsteht eine komplett neue Verlagsschiene. Verlage haben keine Berührungsängste mit selfpublishing. Wenn ein Indie-Autor gut verkauft, hat er schnell auch einen Papierbuch-Vertrag in der Tasche. Der Pool, aus dem Verlage jetzt schon „vorgesiebt“ auswählen können, ist riesig. Und ich denke, viele, viele Manuskripte, die früher auf Lektorentischen landeten, gehen jetzt gleich ohne Umweg ins selbstverlegte E-Book. (Fast hätte ich „leider“ gesagt ;-))
FaBü: Immerhin waren die Verlage für die Qualitätskontrolle gut. Auch wenn bei denen sicher vieles nicht durch die Firewall kam, was wohl veröffentlichungswürdig war und umgekehrt Werke gefördert wurden, die besser nie das Tageslicht gesehen hätten. Über das Selfpublishing wird natürlich jetzt auch viel, viel Unsinn publiziert. Brauchen wir Qualitätsstandards und wie könnten die aussehen?
Susanne Gerdom: Standardantwort unter Self-Publishern: Der Markt reguliert sich selbst, die Leser können ganz alleine aussuchen, was ihnen gefällt und was sie lesen möchten. Standardantwort unter E-Lesern: Bleib mir weg mit all dem unlektorierten Schrott! Ich kaufe lieber Verlagsbücher, da weiß ich, dass sie wenigstens formal in Ordnung sind.
Ja, wir brauchen ein, zwei, ganz viele Qualitätssiegel für Indie-Bücher. Wir brauchen Filtermechanismen, die Hobbyschreibereien und schnell zusammengeschusterte Copy&Paste-Baustellen vor der Tür lassen. Ich habe deshalb mit einigen KollegInnen – HybridautorInnen wie ich, aber auch reine selfpublisher – im Mai dieses Jahres ein Netzwerk gegründet, das genau das leisten soll. Ein „Sieb“ in dem lesbare Bücher hängen bleiben, die mindestens dem Standard eines Kleinverlages entsprechen würden. Sprich: ordentliches Handwerk, ein sauberes Layout, ein Cover, bei dem man keinen Sehsturz bekommt. Qindie – so heißt das Netzwerk – soll Leser, „Hersteller“, Autoren und andere Buchmenschen miteinander verknüpfen und als Anlaufstelle für die Leser dienen, die nach guten Indiebüchern suchen. Bei uns werden sie fündig, das große Q auf dem Cover garantiert einen ungestörten Lesegenuss.
FaBü: Kommen wir zur letzten Frage. Im Web gibt es manchmal eine Diskussion, die wir ziemlich abstrus finden: Der Kampf Papierbuch gegen eBook. Viele hängen sich z. B. dieses „i pledge to read the printed word“-Button auf ihren Blog. Wir finden das eBook ist längst etabliert, aber weniger als Alternative, denn als Ergänzung. So wie Taschenbücher die gebundenen Ausgaben ergänzt haben. Wie siehst Du das? Geht mit dem eBook das traditionelle Buch unter?
Susanne Gerdom: Ach was. Es wird immer gedruckte Bücher geben – und sei es nur, weil es immer Menschen geben wird, die ein schön gemachtes Buch im Schrank stehen haben wollen. (Auch die Vinyl-Schallplatte wurde totgesagt – und es gibt sie immer noch.) Aber die Lesegewohnheiten werden sich verändern. Ich stelle es bei mir selbst fest, ich bin eine manische Büchersammlerin gewesen, habe aber immer weniger davon auch gelesen. Die Menge an bedrucktem Papier, die sich in meinen Regalen türmte, hat mich eher abgeschreckt als angezogen. Seit ich einen Reader besitze, lese ich deutlich mehr und mit wiedererwachtem Vergnügen. Es liegt an der Handlichkeit, an der Augenfreundlichkeit (ich bin im Lesebrillenalter angekommen – größer zu stellende Schrift und eine Hintergrundbeleuchtung sind echte Pluspunkte!) und an dem Umstand, dass ich eine kleinere Bibliothek locker in meine Handtasche gesteckt bekomme. Es ist wunderbar.
Ich habe übrigens gestern einen schon älteren Artikel von Kathrin Passig zu diesem Thema gelesen, den ich sehr interessant fand, weil er genau diese Gedanken aufgegriffen hat: Das Buch als Geldbäumchen.
FaBü: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch und wünschen Dir weiterhin viel Erfolg.
Susanne Gerdom: Danke für das Interview und gleichfalls.
Sehr geehrte Frau Gerdom,
ich habe dieses Interview mit ganz großem Interesse gelesen. Die Fragen waren super ausgewählt und Ihre Antworten dazu sprachen mir aus der Seele. Mein erstes Werk „Traurige Gewissheit..oder alles nur ein böser Traum“, welches als eBook NICHT für 99 Cent zu haben ist und als Taschenbuch 542 Seiten auch 16,90 € kostet, ist zwar auch noch lange kein Bestseller, aber wer weiß, vielleicht schaffe ich es noch, dass es mehr zur Kenntnis genommen wird. Denn dieser Roman ist authentisch und sollte Millionen Frauen ansprechen.
Auch ich habe in verschiedenen Foren mit anderen Autoren darüber diskutiert, ob es Sinn macht, sein Buch wie sauer Bier anzubieten, es zu verschleudern oder gar zu verschenken. Ich vertete auch den Standpunkt, „was nix kostet, is nix“ , wie man umgangssprachlich zu sagen pflegt. Aber der Quatsch mit den Fans, die man für bestimmte Plattformen benötigt, Ranglisten etc. treibt viele Autoren dazu, ihre Bücher zu verscherbeln, um viele Rezensionen oder Fans zu finden.
Aber als Autor hat man nicht Wochen, Monate oder manche sogar Jahre an einem Buch gearbeitet, um es dann wie den billigen Jacob zu verschleudern. Und ja, es gab und gibt nicht selten auch bei Büchern großer namhafter Verlage literarischen Schrott zu lesen, wo man sich fragen muss, wie konnte dieses Buch überhaupt den Weg in so einen seriösen Verlag finden.
Ich befasse mich erst seit kurzem mit dem Schreiben hauptberuflich. Learning by doing heißt bei den Selfpublishern ja die Devise. Natürlich hätten auch viele Indieautoren gerne einen professionellen Verleger an ihrer Seite, der ihnen hilft, ihre Story richtig aufzubauen, richtig zu gestalten, Fehler zu finden, die man naturgemäß selbst übersieht. Ich frage mich seit der Entdeckung von H. L., nach welchen Kriterien Verlage Manuskripte aussuchen. Ihr erstes Buch warf ich wütend mitten auf dem Atlanik den Fischen zum Fraß vor. Mir ist das bis heute ein Rätsel geblieben.
Doch Amazon hat die Buchwelt verändert und wird dies auch weiterhin tun. Und je mehr Verlage im eBook-Bereich tätig werden, desto mehr gute Autoren/Autorinnen werden einer Emily Bold oder einer Amanda Hocking folgen, auch ohne Verleger. Ich finde die heutige Entwicklung sehr befruchtend und erfolgsversprechend. Zumal es hoffentlich bald den Kostenzuschussverlagen den Gar ausmachen wird. Keine Sorge, ich habe deren Angebote in die dafür vorgesehene Tonne geworfen. Aber andere sind abgezockt worden, was mir sehr leid tut.
In diesem Sinne, Danke für dieses wunderbare Interview, Danke für Ihren Einsatz und auch für Ihre Idee eines Qualitätssiegels, obwohl ich noch nicht weiß, ob ich es mir verdienen werde oder durchs Rost falle. Man wächst an seiner Aufgabe.
Mit freundlichen Autorengrüßen
Caren Anne Poe