Rezension von Lisa

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt. Miami, Florida. Der Schmelztiegel der Kulturen. Wo Haitianer, Weiße, Afroamerikaner um ihren Platz an der Sonne kämpfen – weniger die Kubaner: Ihnen gehört die Stadt – und auch wieder nicht. So sind die Verhältnisse jedenfalls in Tom Wolfes Roman „Back to Blood“. Die Urszene ist die Flucht eines kubanischen Flüchtlings, der es fast auf amerikanischen Boden geschafft hat, bevor er in einer spektakulären Aktion von Nestor Camacho, einem Polizisten, der selbst kubanischer Abstammung ist, verhaftet wird.

Von Nestor handelt das Buch; einem jungen Mann aus bescheidenen Verhältnissen, der plötzlich zwischen den Welten steht und verzweifelt den Weg zurück nach Hialeah sucht – dem Kubanerstadtteil, der ihn zum Aussätzigen erklärt hat, weil er seinen Job getan hat. Und es handelt von seiner Exfreundin Magdalena, die umgekehrt verzweifelt versucht, aus eigener Kraft den Weg in die amerikanische Oberschicht, jedenfalls raus aus dem „vermiften Kubanermilieu“ zu finden.

Rezension

Eines Vorweg: Ist „Back to Blood“ denn nun lesenswert? Der Bestseller ist auf jeden Fall spannend, die Charaktere – wenngleich holzschnittartig – vermögen zu überzeugen. Man fiebert mit und wünscht ihnen Gelingen, bzw. den Untergang; je nach Rolle. Die Beschreibung der Verhältnisse lädt auf jeden Fall zum Nachdenken ein, sicher auch zum Widerspruch. Wer gute Unterhaltung wünscht, ist bei Wolfe gut aufgehoben. Bleibt allerdings die Stilfrage – dazu weiter unten.

„Back to Blood“ hat ein Hauptthema: Den sozialen Aufstieg. Es geht nicht in erster Linie um Rassen, Geld und Sex, wie viele schreiben. Derlei spielt eine wichtige Rolle, Sex und Geld sind gewissermaßen die ständige Requisite des Bestsellers; aber das ist es nicht, worum es Wolfe geht. Der kleine Nestor Camacho bastelt an seinen Muskeln und seiner Polizeikarriere, weil er damit was darstellt in seinen Kreisen. Bis er diese Kreise verliert. Die hübsche Magdalena ist klug, doch ungebildet wie ein Klotz und nutzt ihre Schönheit radikal, um am Leben der WASP (White Anglo Saxon Protestants), der weißen Oberschicht teilzuhaben und dabei ihrer kubanischen Herkunft zu entfliehen.

Der haitianische Professor verschuldet sich über seine Verhältnisse, um ein Art-Deco-Heim sein Eigen zu nennen – er hätte gerne, dass man ihn für einen Franzosen hält. Und verzweifelt derweil darob, dass sein Sohn sich bei den afroamerikanischen Gangsta-Typen seiner Schule anbiedert. Dabei übersieht er, dass das im kleinen Kosmos der Highschool auch nur der Wunsch nach Aufstieg und Anerkennung ist. Und auch der sexsüchtige Sextherapeut, der mit Sicherheit der unsympathischste Charakter ist, der je einen Bestseller von Wolfe bevölkert hat: Er ist zwar Arzt, aber natürlich nicht wirklich reich. Er nutzt die Möglichkeiten seiner reichen Patienten, um wenigstens als Gast bisweilen unter die wirklich Mächtigen zu kommen.

Sex und Geld sind dabei zu allererst Vehikel – Mittel zum Ziel; dem Aufstieg. Am Beispiel eines Nebencharakters, eines sexsüchtigen Milliardärs, wird dabei deutlich: Es ist nie genug. Es muss immer noch mehr Macht, mehr Geld, mehr Aufstieg sein. Dabei blicken gefliessentlich alle auf alle herab. Die Kubaner auf die Weißen, weil sie schon längst nicht mehr die Macht in der Stadt haben. Die Weißen auf die Kubaner, weil sie nicht weiß sind. Die Kubaner auf die Haitianer, weil sie ehrgeiziger sind. Die Haitianer auf die Schwarzen, weil sie immerhin noch etwas hellhäutiger sind.

Tom Wolfe ist kein Mann der subtilen Zwischentöne. Seine Figuren sind grell, überspitzt, schwarz/weiß. Wäre er Bildhauer, so würde er nach der Hälfte der Arbeit seine Werkzeuge weglegen – wozu die Feinheiten, wenn doch jeder sieht, dass es ein Hund werden soll. Damit muss man seit jeher bei Wolfe leben können, auch schon bei „Charlotte Simmons“ und „Fegfeuer der Eitelkeiten“. Wolfe reduziert den Menschen letztlich auf seine Urbedürfnisse: Sozialen Aufstieg und Sex. So jedenfalls ist die Lesart von Tom Wolfe.

Tom_WolfeAlle Kultiviertheit ist nur Fassade – ob reich oder arm, schwarz oder weiß, oben oder unten: In Wolfes Florida will jeder nur weiter aufsteigen und ansonsten möglichst häufig seinem Sexualtrieb nachgehen. Die schrille, ausufernde und genüßliche Art, wie der Autor die Sexualität beschreibt, ist gewöhnungsbedürftig. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man es da mit seinem Lieblingsthema zu tun hat. Wenn Tom Wolfe nicht aufpasst, dann bleibt er nicht als der großartige Autor vom „Fegefeuer der Eitelkeiten“ im Gedächtnis, sondern als der Sexopa, der sich mit Viagra und Pornogeschreibsel über seine letzten Tage rettet.

„Back to Blood“ ist nicht unbedingt ein gesamtamerikanischer Gesellschaftsroman. Er hat nur den Anspruch, die Gesellschaft Floridas, insbesondere von Miami, zu beschreiben. Und ungelenk wirken die Versuche der Kritiker, Wolfes „Moralismus“ zu beschreiben. Dr. Wolfe hat im Grunde keinen Moralismus, keine besondere Pointe. Er schreibt auf, wie die Menschen seiner Meinung nach ungeschminkt aussehen. Man kann nicht einmal genau herauslesen, ob ihm das sympathisch oder unsympathisch ist.

Man kann seinen Stil mögen oder nicht. Das schlimmste jedoch ist mit Sicherheit seine furchtbar enervierende Art, Lauttöne in seinem Text unterzubringen. Wenn auf fünf Seiten eine Unterhaltung auf einem Boot stattfindet, dann muss er nach allen paar Worten ein Geräusch einfügen, dass das Knallen des Bootes auf die Wellen widergeben soll. Wenn ein Mensch besonders nervig lacht, muss er dieses Lachen wiedergeben: Eine stilistische Eigenart, die bemüht wirkt, den Lesefluss unterbricht und geradezu hysterisch wirkt.

Infos

  • Wegen der einfachen Sprache leicht im englischen Original zu lesen: 704 Seiten (Paperback)
  • In der deutschen Ausgabe 768 Seiten
  • Wolfe glorifiziert in dem Bestseller die Universität Yale. An dieser hat er selbst seinen Dr.-Titel erworben.
  • Wolfes Markenzeichen ist das ständige Tragen eines vanillefarbenen Anzuges
  • Tom Wolfes Website