Rezension von Annemarie
Flüchtlingskrise. Das Wort ist in aller Munde. Doch wie genau sieht der Weg der Flüchtlinge tatsächlich aus? Was treibt sie? Was für Gefahren und Schwierigkeiten müssen sie überwinden und wie gehen die einzelnen Länder mit ihnen um? Navid Kermani hat sich auf den Weg gemacht, um dies zu ergründen. Seine Reise hat ihn an die Brennpunktstellen in Europa geführt, bis an die Grenze zum Orient. Von den persönlichen Erlebnissen mit den Flüchtlingen und der Situation an diesen Orten ganz allgemein handelt dieses Buch.
Insgesamt zwölf Schwarz-Weiß-Fotos, die vom bekannten und mehrfach ausgezeichneten Fotografen Moises Saman geschossen wurden, und jeweils eine Doppelseite umfassen, runden das Ganze ab.
Rezension
Dieses Buch ist authentisch. Jenseits der üblichen Berichterstattung, die teilweise sehr stumpf ist und die Flüchtlinge mehr als leblose Objekte behandelt, teilweise aber auch sensationsheischend auf die Tränendrüse drückt, versucht Kermani, die Realität bestmöglich zu erfassen und wiederzugeben.
Die Voraussetzungen dafür hat er. Denn im Gegensatz zu anderen Personen, die diese Reise ebenfalls unternehmen, spricht Kermani Arabisch und kann daher auch direkt mit vielen Flüchtlingen kommunizieren. Zudem kann sich Kermani durch seinen Migrationshintergrund ohne weiteres auch als Flüchtling ausgeben und so die Welt mehr aus ihren Augen betrachten.
Daher ein hochinteressantes Buch. Und damit komme ich auch schon zu dem großen Knackpunkt dieses – ja – ist es wirklich ein Buch? Aus meiner Sicht eher nicht denn – es ist viel zu dünn! Eigentlich ist diese Schrift nicht mehr als ein Heftchen. Insgesamt hat die Lektüre nur 88 Seiten. Zieht man davon noch die Seiten ab, auf denen nur Bilder zu sehen sind, kommt man auf gerade einmal 64 Textseiten. Das ist umso enttäuschender, da der Inhalt wirklich hochinteressant ist.
Hätte sich Kermani intensiver mit der Thematik befasst – die Voraussetzungen dazu hat er wie kaum ein anderer – wäre daraus wirklich ein tolles Buch geworden. Die Bilder sind wirklich toll und bilden die Wirklichkeit besser als ab als jeder Text, aber es fehlte mir einfach an Inhalt. Ich kann schon verstehen, dass Kermani für diese Lektüre nicht viel Zeit hatte, so viel, wie er gegenwärtig schreibt. Nur – wenn man für ein Buch nicht viel Zeit hat, sollte man den Leser das nicht unbedingt spüren lassen und lieber etwas länger an einem Buch arbeiten, als ein aus meiner Sicht doch sehr komprimiertes Manuskript zu veröffentlichen. So finde ich diese Lektüre im Vergleich zu anderen Kermani-Büchern leider etwas enttäuschend.
Fazit
Toller Schreibstil, hochspannendes Thema, aber viel zu dünn. Daher erlaubt dieses Heft maximal einen kleinen Einblick in die Flüchtlingsthematik. Ob man bereit ist, dafür zehn Euro auszugeben, muss jeder selbst entscheiden.