Rezension von Fenna Wächter / Lesemanie
Die Rote Armee ist auf dem Vormarsch, doch noch ist Adams und Thomas‘ Heimatort von den Deutschen besetzt. Täglich werden Menschen aus dem Ghetto in Züge gepfercht und abtransportiert – besonders die Alten und die Kinder sind davon betroffen.
Adam und Thomas sind beide neun Jahre alt. Sie kennen sich flüchtig aus der Schule – Thomas war immer Klassenbester, aber dafür unsportlich und ängstlich und nicht sehr beliebt bei seinen Klassenkameraden. Adam ist abenteuerlustig und praktisch veranlagt; er stammt aus einer gläubigen Handwerkerfamilie und erkundet gerne den Wald, der sich in der Nähe seiner Heimatstadt erstreckt. Deshalb ist Adam auch nicht sehr besorgt, als seine Mutter ihn eines Morgens sehr früh weckt, ihm einen schweren Rucksack umbindet und sich mit ihm auf den Weg in den Wald macht. Dort angekommen, ermahnt sie ihn, auf ihre Rückkehr zu warten und geht. Einige Stunden später trifft Adam auf Thomas, dessen Mutter ihn ebenfalls mit einem Rucksack bepackt in den Wald gebracht hat. Beide Mütter haben ihren Söhnen versprochen, sie am Abend wieder abzuholen, doch der Abend kommt und die Nacht bricht herein und Adam und Thomas sind immer noch alleine im Wald.
Bald wird klar, dass sie ihre Mütter vor Kriegsende wohl nicht wiedersehen werden. Adam begreift die Situation als Abenteuer; er baut ihnen ein Nest in einer Baumkrone und erkundet den Wald in Begleitung des ängstlichen Thomas. Der bewundert den Mut seines neuen Freundes, während Adam ihn für seine Eloquenz schätzt – nie könnte er sich so gewählt ausdrücken wie Thomas. Nachts hören sie manchmal Männer, die durch den Wald hasten, manchmal erklingen Schüsse, einige Male sehen sie Verwundete. Doch meistens fließen die Tage ruhig dahin, bis sie einsehen müssen, dass sich ihre Essensvorräte dem Ende zuneigen und sie einsehen müssen, dass die Deutschen nicht die einzige Gefahr für sie darstellen, sondern dass sie sich auch vor Hunger und Kälte schützen müssen.
Dem gläubigen Adam erscheint es daher wie ein Fingerzeig Gottes, dass sie auf einem ihrer Streifzüge eine Kuhweide erblicken. Nicht nur können sie hier Milch erbeuten, Adam erkennt auch ein Mädchen aus ihrer Schule wieder: Mina, deren Eltern sie für viel Geld bei Bauern versteckt haben. Mina ist klein und schmal, es scheint ganz unwirklich, wie eine so zarte Gestalt den schweren Milchkrug von der Weide ins Haus tragen kann. Doch auch in anderer Hinsicht erweist sich Mina als überraschend stark. Heimlich schleust sie Essen aus der Hofküche zu den beiden Jungen und während der Herbst in den Winter übergeht und die Kälte ihr Nest erreicht, sorgt sie so dafür, dass sie immerhin keinen Hunger leiden müssen. Dass sie sich dabei selbst in Gefahr bringt, hält sie nicht davon ab, den beiden zu helfen so lange ihr das möglich ist. Ihre Selbstlosigkeit scheint nicht von dieser Welt zu sein.
Aharon Appelfelds schnörkellose Sprache und seine ruhige Erzählart erlauben es dem Leser, sich voll und ganz auf die beiden Protagonisten zu konzentrieren. Mit großem Einfühlungsvermögen lässt Appelfeld die beiden Jungen mit kindlicher Ernsthaftigkeit über den Sinn des Lebens sprechen. Die Art und Weise, in der beide versuchen, ihre Ängste und Zweifel vor dem anderen zu verbergen um ihm Trost spenden zu können, ist herzzerreißend, und Appelfeld beweist, dass es keiner exzessiven Beschreibung von Gewalt- und Todesszenen bedarf, um ein tieftrauriges Buch zu schreiben. Wie gut, dass Adam sowohl Thomas als auch den Leser konstant zu neuer Hoffnung zu animieren vermag.
Ein Mädchen nicht von dieser Welt liest sich wie ein stilles Märchen, doch dem Roman liegt eine wahre Begebenheit zugrunde: Aharon Appelfeld hat sich während des Zweiten Weltkriegs selbst als Kind in den Wäldern seiner ukrainischen Heimat versteckt, bevor er Küchenjunge bei der Roten Armee wurde und 1946 nach Palästina ging. In Israel hat er lange Jahre als Professor für Literatur gearbeitet. Heute lebt er in Jerusalem.