Wer zu viel isst und infolgedessen übergewichtig ist, is(s)t maßlos. Er hat keine Selbstdisziplin, kümmert sich einfach zu wenig um sein Aussehen und seine Gesundheit und ist zu unfähig, bzw. zu undiszipliniert, einfach mal gesundes Gemüse zu essen anstelle dicke Sahnetorten und Big-Macs zu sich zu nehmen. So eine Haltung zum Charakter der Viel-Esser ist in mehr oder weniger starker Ausprägung leider noch allzu oft in der Gesellschaft vertreten.
Und genau diese Haltung vertritt die Heilpraktikerin Maria Sanchez nicht. Ihrer Ansicht nach sind es vor allem innere Spannungen, die dazu führen, dass man seinen Essdrang nicht mehr kontrollieren kann. Davon, wie man es schaffen kann, durch psychische Heilung sein Essverhalten zu kontrollieren, handelt dieses Buch.
Unterteilt ist Sanchez´ Werk in drei Teile, die jeweils aus mehreren Kapiteln bestehen. Die ersten beiden, vergleichsweise kurzen, Kapitel geben die Grundlagen von Sanchez´ Theorie. Der erste Teil erforscht die Ursache des Essdrangs. Der zweite Teil schafft einen Ansatz, wie man diesem ursächlichen Problem begegnen und eine Lösung finden kann. Der dritte, mit Abstand umfangreichste, Teil schließlich hat unterschiedliche Fallbeispiele zum Inhalt.
Jedes Kapitel beinhaltet zu Anfang eine Frage von einem Leser bzw. einer Leserin, die ihr zugeschickt wurde. Das Kapitel befasst sich dann mit der Beantwortung der Frage, ist quasi als Antwortschreiben an den Leser verfasst. So befasst sich jedes Kapitel mit einem Problem. Insgesamt zwanzig Kapitel umfasst der dritte Teil. Es gibt etwa die Kapitel „Wenn schon keine Umarmung, dann wenigstens Kuchen“, „Wenn der eigene Antrieb fehlt“, „Ich hasse Sport“ oder „Wie schaffen die anderen das, ihr Leben im Griff zu haben?“. Einführung und Schlusswort schaffen einen Rahmen für das Ganze.
Rezension
Massen an Büchern, die für Viel-Esser konzipiert sind, befassen sich mit dem (Nicht-)Essen und geben Anweisungen, wie man weniger Kalorien zu sich nimmt. Mittlerweile ist daraus ein riesiger Markt geworden, indem verzweifelten Übergewichtigen mit dem Angebot von Wundermitteln, die einen sehr schnell und leicht viel abnehmen lassen, mit tollen Diäten, bei denen man essen kann, was man will, und mit wahnsinnig neuartigen Workshops das Geld aus der Tasche gezogen wird. Dieses Buch grenzt sich von diesen Büchern ab.
Denn im Gegensatz zu anderen Büchern steht bei diesem Buch nicht das Essen im Mittelpunkt, vielmehr geht es um die Psyche des Viel-Essers. Das Essen tritt dabei völlig in den Hintergrund. Und das finde ich richtig gut. Denn viele der anderen Bücher behandeln primär die Symptome, also das Viel-Essen, die Ursache für den Essdrang bleibt jedoch. Da verwundert es nicht, dass der gefürchtete Jojo-Effekt bei so vielen Menschen auftritt.
Ziemlich beeindruckt hat mich an diesem Buch, dass Sanchez mit dermaßen viel Respekt von den Übergewichtigen spricht. Für sie sind Übergewichtige keine Menschen, die gefräßig sind und nicht genug bekommen können, auch sind Übergewichtige aus ihrer Sicht keineswegs widerlich. Obwohl ich extra drauf geachtet habe, hatte ich kein einziges Mal den Eindruck, dass Sanchez in irgendeiner Weise eine auch nur minimal ablehnende Haltung gegenüber irgendeiner Personengruppe hatte. Weder direkt noch indirekt zwischen den Zeilen kam etwas Derartiges durch. Das ist insofern bemerkenswert, dass oftmals selbst Psychologen oder Ärzte spürbare Vorurteile gegenüber Moppeligen haben. So ist das Buch aus meiner Sicht ganz besonders für übergewichtige Sensibelchen geeignet.
Die Ratschläge, die Sanchez haben, soweit ich das beurteilen kann, Hand und Fuß. Ich muss zugeben, die „Therapie“ des Übergewichts ist deutlich langwieriger als bei anderen Büchern, wo man mittels ach so toller Diätmittelchen oder mittels strengen Kalorienzählens möglicherweise deutlich schneller auf das gewünschte Gewicht herunterkommen kann. Dafür hat sie aber große Potential, dass das Gewicht wirklich dauerhaft reduziert wird, und – ganz wichtig – die inneren Spannungen des Viel-Essers werden beseitigt oder zumindest reduziert, sodass der Viel-Esser auch seelisch Ballast abwerfen kann. So sei das Werk insbesondere den Menschen wärmstens nahegelegt, die schon einmal erfolglos versucht haben, abzunehmen oder/und innerlich unglücklich sind.
Ein Vorteil des Buches ist zudem, dass man seine Ernährung nur wenig umstellen muss. Nach Wundermitteln oder anderen teuren Maßnahmen sucht man hier vergebens, sodass die einzigen Kosten, die auf einen zukommen, tatsächlich die Kosten für das Buch sind. Im Grunde genommen ist das schade. Denn die Diätindustrie kann mit so einem Buch überhaupt keinen Profit machen. Daher ist meine Befürchtung, dass dieses Buch auch nicht so vielen Menschen nahegelegt wird. Und das fände ich sehr schade. Denn Sanchez´ Werk ist aus meiner Sicht eine Revolution – in positiver Hinsicht. Darüber hinaus lässt sich ihr Buch leicht und gut lesen, sodass das Lesen bei aller Ernsthaftigkeit des Themas auch noch angenehm zu lesen ist. Allerdings ist Sanchez´ Werk leicht spirituell angehaucht. Wer also mit Spiritualität nichts anfangen kann, wird sich dadurch möglicherweise gestört werden.
Fazit
Ein sehr empfehlenswertes Buch für alle Menschen, die oft zu viel essen. Weniger das Essen selbst, als vielmehr die Psyche des Viel-Essers steht bei der Autorin im Vordergrund. Der seelische Ballast, der bewirkt, dass man zu viel isst, ist ihr eigentliches Zielobjekt. Schön ist der ohne Ausnahme sensible, angenehme, respektvolle Ton, in dem die Autorin schreibt.