David Gray, geboren 1970, lebt in Deutschland und Irland, nachdem er längere Zeit in Südostasien, Großbritannien und Irland gelebt hat. Er ist als Film- und Kunstkritiker für verschiedene Zeitungen tätig. Neben Geschichte und Philosophie begeistert er sich für Kriminalromane und Thriller der härteren Sorte. In Interviews und Vorträgen setzt er sich öffentlich mit dem Phänomen des Selfpublishing auseinander. Im September 2011 veröffentlichte Gray zusammen mit anderen Indie-Autoren ein Manifest in dem Verlagsautorenkollegen dazu aufgerufen wurden, inzwischen überkommene Vorurteile gegenüber dem Selfpublishing und den Selfpublishern aufzugeben und die neuen Möglichkeiten im Buchmarkt aktiv zu nutzen. Sein historischer Roman „Wolfswechsel“ war 270 Tage in den Top-Einhundert Kindle-Charts vertreten. Sein aktueller Titel ist ein Sherlock Holmes Pastiche namens „Eine Studie in Angst“, sein nächster umfangreicherer historischer Roman „Spielt süßer den Tod“, wird in einem Verlag erscheinen, und ist in Paris auf dem Höhepunkt von Napoleons Macht angesiedelt.
Fabelhafte Bücher: Wenn es um Indieautoren und eBooks geht, wird der Öffentlichkeit hierzulande ein schizophrenes Bild geboten: Einerseits präsentieren bekannte Medienhäuser wie DER SPIEGEL die Tellerwäscher-zum-Millionär-Storys von Selfpublishern wie Amanda Hocking, die erfolgreicher sind als viele Verlagsautoren. Andererseits nehmen just dieselben Medien solche Autoren in den Bestsellerrankings nicht wahr. Warum diese Ignoranz?
David Gray: Das ist einer gewissen, dem Journalismus eingeborenen, Schizophrenie zuzuschreiben. Auf der einen Seite bietet sich da eine gute Aschenputtel-Story mit allen Elementen, die sie so richtig schön ans Herz des Magazinlesers gehen lassen, und auf der anderen Seite eine hoch komplexe einschneidende Veränderung in einer Branche, die dem Journalismus sehr nah verwandt ist, nämlich der Buchbranche, aber die sich dem ganz gewöhnlichen Magazin oder Zeitungsleser in all ihrer Komplexität nur schwer vermitteln lässt. Ob es irgendein Indie-Titel je in die SPIEGEL Bestsellerliste schafft ist mir allerdings auch relativ egal. Die Bestsellerlisten werden von einer symbiotischen Bettbeziehung zwischen Zeitungs– und Buchverlagen kreiert und gepflegt. Dass dort irgendwer in absehbarer Zeit an dem Ast zu sägen beginnt, auf dem bisher eine Menge Verlagsangestellte und Journalisten ganz bequem sitzen konnten, erwarte ich eher nicht.
Die Leser und Käufer von Büchern interessieren sich aber auch gar nicht so tierisch dafür, ob Verleger A oder Autor X ein Problem mit dem Aufkommen von E-Books und Indie-Autoren hat oder nicht. Die Diskussion über die Veränderungen in der Buchbranche findet hauptsächlich in Fachzirkeln statt und dort erhitzt sie die Gemüter. Außerhalb solcher Gruppen wird sie doch kaum wahrgenommen. Und weshalb auch? Die Konsumenten haben längst die verschiedenen eReader angenommen. Der eigentliche Aufreger für sie besteht derzeit darin, dass sich immer noch kein einheitliches Dateiformat bei den E-Books durchgesetzt hat. Derzeit registrieren die Käufer den Unterschied zwischen einem Indie-Titel und dem eines Verlags höchstens anhand des Preises. Und selbst dieses Unterscheidungsmerkmal wird mehr und mehr erodieren.
Mein Job, als Autor zu Beginn des 21 Jahrhunderts, besteht darin meine Produkte zu erstellen und sie dann meiner Kundschaft zugänglich zu machen. Genau das versuche ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, ob nun als Indie oder über den Zwischenstopp eines Verlags. Derzeit ist einer dieser viel versprechenden Marktflecken nun mal jene Onlinehandelsplattform mit Firmensitz in Seattle. In drei Jahren ist es vielleicht irgendeine andere, wer weiß das schon?
Fabelhafte Bücher: Muss man nicht vielleicht auch die Genres wenigstens zum Teil mit verantwortlich machen? Leicht verdauliche Unterhaltungsliteratur, z. B. aus dem Fantasybereich, liegt bei eBooks im Trend. Sie genießt aber auch nicht dasselbe Ansehen, wie Romane, die gesellschaftliche Themen verarbeiten. Von Liebesromanen ganz zu schweigen.
David Gray: Fantasy und ChickLit liegen generell im Trend, nicht nur bei den E-Books. Und gemessen an solch anregenden Brüllern wie den Autobiographien von Boris Becker und Dieter Bohlen erlangen auch gut gemachte Romance-Titel immer noch einen literarischen Mehrwert. Wenn ich einen Blick auf die Bestsellerlisten in den Magazinen werfe, springt mich von dort ja auch nicht gerade jedes Mal eine neue Iphigenie an. Dennoch hatten und haben selbstverständlich auch anspruchsvolle Titel ihre festen Plätze auf den Bestsellerlisten. Sloterdijk, Coetzee und Ondaatje erobern regelmäßig die SPIEGEL-Bestsellerlisten! Und wenn die dazu dienen ein paar mehr Leuten ganz gute, oder sogar geniale Literatur schmackhaft zu machen, dann haben diese Listen in den Magazinen ihren kulturellen Hauptzweck erfüllt.
Was wirkliche gesellschaftliche Relevanz betrifft, die wird seit Jahren eher im so gern als „B“ gescholtenen Krimigenre abgearbeitet. Während sich die vom Feuilleton verklärte literarische Elite noch im anschwellendem Bocksgesang übte, über Altersex grübelte oder sich im Zwiebelschälen verlor, haben sich Nele Neuhaus, Jan Costin Wagner oder der leider viel zu früh verstorbene Jakob Arjouni in ihren Krimis zeitnah mit den wirklich drängenden gesellschaftlichen Problemen in diesem Land auseinandergesetzt.
Fabelhafte Bücher: Ein Thema das Indieautoren ebenso wie die ganze eBook-Branche umtreibt, ist der Preis. Also wenn Du an die 99-Cent-eBooks denkst, oder an die Kindle-Tages-Deals: Wie beurteilst Du das?
David Gray: 99 Cent-Preise sind Ergebnis von Marketingüberlegungen der Autoren bzw. Verleger. Ich habe letztes Jahr in der Branche dieselbe Frage herumgereicht und schon damals sah man das überwiegend recht gelassen. Es gibt einen Markt für 99 Cent-Titel. Der beißt sich vor allem mit dem für Heftromane. Und dieser 99 Cent-Markt mag auch die Onlinebuchcharts durchaus beeinflussen, aber wie die Erfahrung zeigt, zwingen die Verkaufszahlen von 99 Cent-Titeln weder die für solche um die 2,99 noch um die 19,99 wirklich nachhaltig in die Knie. Was wir derzeit aktuell beobachten können ist eine zunehmende Diversifizierung des E-Book-Marktes. Da bilden sich derzeit Schubladen und die 99 Cent Schublade ist eine davon. Die „Ich–biete-meinen-Verlagstitel–für-eine-Woche-um-die–Hälfte-billiger-an-Idee“, ist eine weitere dieser Schubladen.
Wer sich als Indie vor den Kindle Deals des Tages ängstigt, der sollte sein Selbstverständnis als Autor vielleicht noch mal überdenken. Wahlweise kann er / sie gerne auch noch mal bei den Herren Marx und Engels, Kaynes, Smith und Simmel nachlesen was genau die Mechanismen eines kapitalistisch organisierten Marktes darstellt. Immer wird es in einem so breit aufgestelltem Markt, wie der Buchbranche, irgendwann irgendwo einen Mitbewerber geben, der seinen Titel mal teurer, mal billiger anbietet und mich daher vielleicht meinen Chartplatz kostet. Doch davon sind alle Autoren betroffen, gleich ob Verlags- oder Indieschreiber. Autoren sind – rein wirtschaftlich betrachtet – auch Unternehmer und daher gezwungen auch unternehmerisch zu denken. Preiskämpfe sind ein legitimes Mittel in einem kapitalistisch organisierten Markt.
Fabelhafte Bücher: Wenn wir mal eine provokant zugespitzte Kritik äußern dürfen: Wenn eBook-Autoren ihre ohnehin nicht-stofflichen Produkte zu Preisen aus dem 1-€-Shop anbieten, sollten Sie sich vielleicht nicht wundern, wenn z. B. der SPIEGEL nicht bereit ist, diese mit gebundenen 25 €-Werken von Jonathan Franzen & Co. in ein Ranking zu stellen!
David Gray: Die SPIEGEL oder FOCUS Bestsellerlisten wirken sich aktuell vor allem auf die Verkäufe von Printbüchern aus. Es gibt so einige Indie-Autoren, die deutlich mehr Exemplare verkauft haben, als für einen Ranglistung in den SPIEGEL oder FOCUS Bestsellerlisten erforderlich wäre. Diese Listen sind für Indie-Autoren, die in der Mehrzahl ja den E-Book-Markt bedienen, relativ bedeutungslos. Zumal sich viele Indie Titel deutlich länger in den oberen Bereichen der Onlinecharts halten, als die jeweiligen SPIEGEL-Ranglistentitel, von denen es nur wenige für länger als bloß ein paar Wochen schaffen, sich in den oberen E-Bookcharts bei dem immer noch größten Onlinehändler für E-Books zu halten.
Fabelhafte Bücher: Wie wird nach Deiner Einschätzung der eBook-Trend – im Verein mit den von Verlagen emanzipierten Indieautoren – die Verlagswelt beeinflussen?
David Gray: Ich habe keine Kristallkugel zur Verfügung, die mich in die Zukunft schauen lässt. Aber die Veränderungen, die jetzt schon – zumindest in ihren Anfängen – abzusehen sind, betreffen vor allem das Berufsbild des Autors. Mit dem auch in Eigenregie immer leichter zu bedienenden E-Bookmarkt stehen Autoren einfach mehr relativ mühelos zu bedienende Vertriebswege für ihre Titel offen. Das ist aus Autorensicht grundsätzlich zu begrüßen.
Fabelhafte Bücher: Immerhin waren die Verlage für die Qualitätskontrolle gut. Auch wenn bei denen sicher vieles nicht durch die Firewall kam, was wohl veröffentlichungswürdig war und umgekehrt Werke gefördert wurden, die besser nie das Tageslicht gesehen hätten. Über das Selfpublishing wird natürlich jetzt auch viel, viel Unsinn publiziert. Brauchen wir Qualitätsstandards und wie könnten die aussehen?
David Gray: Es existiert seit jeher ein untrüglicher Qualitätsstandard für Bücher – die Verkaufszahlen. Da gibt’s auf dieser, wie auf jener Seite des Branchenzauns genug haarsträubend gute, wie schlechte Beispiele zu besichtigen. Grundsätzlich gilt: Autoren produzieren Texte, gute Texte verkaufen sich ab und zu auch gut, miese Texte verkaufen sich ab und zu auch mies, und umgekehrt. Jeder Autor, der mit seinem Produkt an die Öffentlichkeit geht, ganz egal auf welchem Weg, setzt damit zunächst einen Standard, und zwar: den seines Textes. Hat er den zuvor durch die Maschen eines Verlags gefiltert, so wird der Text mehr oder weniger einem von diesem Verlag für diesen Text angestrebten Standard entsprechen. Hat der Autor seinen Text nicht durch einen Verlagsfilter gesandt, so entspricht der den Standards, den jener Autor sich für ihn gesetzt hat. Gibt er sich mit der Rohfassung zufrieden, so ist das seine Entscheidung, versucht er für seinen Text den Filterprozess eines Verlags zu kopieren, (also lässt er ihn zuvor lektorieren bzw. korrigieren) ist auch das Ergebnis seiner persönlichen Entscheidung.
Fabelhafte Bücher: Kommen wir zur letzten Frage. Im Web gibt es manchmal eine Diskussion, die wir ziemlich abstrus finden: Der Kampf Papierbuch gegen eBook. Viele hängen sich z. B. dieses „i pledge to read the printed word“-Button auf ihren Blog. Wir finden das eBook ist längst etabliert, aber weniger als Alternative, denn als Ergänzung. So wie Taschenbücher die gebundenen Ausgaben ergänzt haben. Wie siehst Du das? Geht mit dem eBook das traditionelle Buch unter?
David Gray: Auch für diese Frage gilt, dass in Ermangelung einer magischen Kristallkugel, ich nur Schätzungen abgeben kann, wo man fest gefügte und (wodurch auch immer) begründete Meinungen zu erwarten scheint. Die großen Buchhandelsketten mit ihrer recht unflexiblen Kostenstruktur werden zunehmend Probleme bekommen. Die Verlagslandschaft hingegen wird vielfältiger werden, wenn auch unter dieser Vielfalt sich weit mehr kleine und kleinste Verlage entwickleln können, als das bisher denkbar war. Wie ihnen das gelingt? Durch eine konsequente Mischkalkulation aus reinen E-Booktiteln und gedruckten Titeln. Reine Taschenbuchverlage sehen turbulenten Zeiten entgegen, da das E-Book sich wohl mittelfristig vor allem auf die Taschenbuchverkäufe auswirken wird.
Unabhängige, kleinere Buchhändler sollten eigentlich nach einer Depressionsphase, die leider noch viele weitere Schließungen bringen wird, von der Vervielfältigung innerhalb der Verlagslandschaft letztlich profitieren können. Dies jedoch auch nur dann, falls es dem dort beschäftigten Personal gelingt ihrer Kundschaft einen Pfad durch den immer größer werdenden Dschungel der Buchveröffentlichungen zu schlagen.
Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch und wünschen Dir weiterhin viel Erfolg.