Interview mit Joe Wentrup      

 

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(c) Andros Barroso

Joe Wentrup wurde 1966 in Arnsberg geboren. Ende der 80-er Jahre studierte er Grafikdesign in Köln, widmete sich aber bald überwiegend der Organisation von Raves und Warehouseparties, deren Artwork er selber realisierte. Durch mediale Beschäftigung kam er zu der Erkenntnis, dass das Wort der Ursprung jeder audiovisuellen Geschichte ist. Nach der intensiven Auseinandersetzung mit Dramaturgie und Drehbuch veröffentlichte er 2014 seinen ersten Kriminalroman HÖLLE IN HIMMEL.

 

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Nein, nicht wirklich. Schreiben ist ja auch Reflexion, Therapie, wohl auch Nabelschau. Zunächst bin ich mir beim Schreiben mein größter Kritiker und Fan, Leser und Markt kommen erst danach. Allerdings will ich begeistern und mitreißen, das ist von Anfang an auch im stillen Kämmerlein eine Motivation. Was zunächst ein Widerspruch zu sein scheint, löst sich beim Krim auf: Denn es handelt sich dabei um grundsätzliche Elemente des Genres.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise  die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Das ist wie bei den Blockbustern im Kino. Einige Filme muss man einfach gesehen habe und ebenso sind Bestsellerlisten hilfreich für eine Orientierung auf einem immensen Markt. Wer sich allerdings nur davon leiten lässt, kann nicht in die Tiefen und geheimnisvollen Nischen der literarischen Welt eintauchen. Man muss auch Mut zum Experiment haben und sollte sich vor dem Bücherregal oft auch einfach vom Instinkt leiten lassen.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Man muss sich einen Rückzugsraum schaffen, in den der Alltag mit seinen Problemen und Störmanövern nicht eindringen kann, oder zumindest nur in literarisch verarbeitbaren Dosen. Diesen Rückzugsraum muss man sowohl räumlich wie auch zeitlich verstehen, vor allem aber muss man ihn im eigenen Kopf erschaffen. Das zweite Element für gutes Arbeiten ist Regelmäßigkeit. Man kann an einem Tag in sechs Stunden nicht so viel schreiben, wie an sechs Tagen in einer Stunde. Denn es ist enorm hilfreich, wenn das Unterbewusstsein zwischen den Schreibphasen mitarbeitet. Schreiben ist tatsächlich eine Arbeit, der man zu einem gewissen Maße im Schlaf nachgehen kann.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Ich pflege meine eigene Internetseite, ich führe Korrespondenz und halte Lesungen. Wenn ein neues Buch herauskommt, stelle ich es auch gerne in meiner näheren Umgebung persönlich vor. Das summiert sich schon zu einem erheblichen Aufwand, den ich bei ungefähr 20% meiner gesamten für literarische Tätigkeiten zur Verfügung stehende Zeit sehe.

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Ich bin selber noch ein Neuling, daher kann ich nur Folgendes empfehlen: Geh auf mögliche Verlage und Leser zu, lass Dich von Niederlagen oder Zurückweisungen nicht entmutigen, glaub an Dich. Wenn Du Dein Buch unter der Haut trägst, seine Geschichte aus Deinen Augen strahlt, wird sich jeder Verleger, Kunde, Leser oder Kritiker für Dich Zeit nehmen. Und das ist der erste und wichtigste Schritt zum Erfolg.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

Die angelsächsische Literatur von Hemingway bis Dan Browne. Ihre Effizienz, erzählerische Energie und dramatische Struktur ist vorbildhaft. Der galante Sprachwitz eines Tucholskys. Die überbordende Fantasie eines García Marquez. Die sprachliche Vollendung eines Vargas Llosa. Die Abgründe eines Mishima. Mit Namen würde ich noch James Sallis hinzufügen und, was wäre meine Jugend ohne ihn gewesen, Charles Bukowski.

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Die üblichen Verdächtigen haben auch einmal klein angefangen aber nun, da sie den literarischen Olymp erklommen haben, sind sie natürlich für eine Presse, die auf Auflagen schielen muss, am interessantesten. Denn der Zeitungsleser kennt sie und ihre Namen wecken sein Interesse. Für Newcomer gibt es, um von den Medien wahrgenommen zu werden, die Literaturpreise, vielleicht sogar Werbeetats der Verlage und das gute alte Rezept des Pops: Den Skandal und die Provokation.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Ich habe zehn Jahre durch Schreibblockaden verloren. Wer schreiben will, sollte es auch tun, an sich glauben und die Tiefen einer Schriftstellerkarriere durchstehen, um zu den Höhen zu gelangen. Daher das Wichtigste: Schaff Dir Deinen Freiraum, in dem Du schreiben kannst, wo die niemand reinredet und Dich stört. Und dann verteidige ihn, als hinge Dein Leben davon ab – und als Schriftsteller ist das auch der Fall.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Ich brauche eine konkrete Vorstellung von den Orten der Handlung und muss mich hundertprozentig in die Gefühle und Gedanken der Charaktere hineinversetzen können. Sobald dies nicht gegeben ist, verfalle ich in Klischees, da ich die Dinge stereotyp und von außen betrachtet beschreibe. Daher haben meine Geschichten, so fiktiv sie auch sein mögen, immer einen Bezug zu meinem Leben, wenn oft auch in literarisch sehr abgewandelter Form. Ein weiteres Hilfsmittel für gut geschriebene Szenen ist die Recherche. Was ich nicht weiß, kann ich herausfinden. Und dann kann ich problemlos darüber schreiben.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren  insgesamt zu dem Thema?

Ich erwarte eine Position von einem Autor, die ich auch von jedem Bürger erwarten würde. Nämlich authentisch zu sein. Mitläufertum, sei es politisch korrekt oder auf einer PEGIDA-Versammlung, wird diesen Dingen nicht gerecht. Wer verantwortlich seine Meinung bildet, soll und darf sie auch kundtun. Die Verunglimpfung einer Religion, Kultur oder Ethnie um der Provokation – und letztendlich um des eigenen Marketings  willen – kann ich in diesem Zusammenhang nicht gutheißen. Wohl aber Satire, wenn sie geistreich ist und über den Witz eine tiefere Wahrheit offenbart.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Regelmäßigkeit ist oberste Tugend für schriftstellerisches Arbeiten. Mit einer konsequent genutzten Stunde am Tag kann man innerhalb eines Jahres einen kleinen Roman fertigstellen.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Ich arbeite an einer Krimitrilogie, von der HÖLLE IN HIMMEL der erste Teil ist. Gerade bin ich dabei, das zweite Buch zu beenden und hoffe, es bald zu veröffentlichen. Nach Abschluß der Trilogie habe ich ein Projekt, das ich auf Spanisch schreiben möchte. Es geht um eine geradezu mythische Gestalt der Subkultur Barcelonas kurz nach der Jahrtausendwende. Es soll ein kontemporärer Spiegel der Stadt und eines sehr persönlichen Lebensabschnitts werden.

Fabelhafte Bücher: Mit bedanken uns herzlich für das Gespräch.

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