Interview mit Jan Michaelis
Geboren 1968 in Heilbronn, 1990-1992 Buchhändlerlehre in Heilbronn, 1995-1996 zwei Kabarettkurse im Düsseldorfer Kommödchen absolviert, mehrere Auftritte mit dem Ensemble „Die Therapeuten“, seit 1997 freie journalistische Tätigkeit für verschiedene auch überregionale Zeitungen, seit 2001 Lesungen bundesweit sowie in St. Petersburg, 2006 Debüt mit Gedichtband, 2009 erschien der erste Roman, Schwerpunkt Kurzprosa, Kurzkrimi, Kinderbuch, wohnhaft in Düsseldorf. Vorsitzender des VS-NRW Region Düsseldorf. Mitglied im Haus Hildener Künstler. Cartoonist in der „Rheinischen Humorverwaltung“. Arbeitet in Teilzeit für die Deutsche Post in Monheim. Vorlesepate der Deutschen Post und der Stiftung Lesen.
Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?
Nein, solche Gedanken mache ich mir nicht. Ich sehe auch nicht die „Konkurrenz“, schließlich schreibe ich keine Kochbücher, Gesundheitsratgeber oder Handbücher für Maschinenbau-ingenieure. Ich bin gelernter Buchhändler, und kenne das Buch als Massenware und das Angebot muss riesig sein, damit man dann wieder den individuellen Wunsch bedienen kann.
Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?
Das interessiert mich gar nicht, ich habe mir noch kein einziges Buch deshalb gekauft oder gelesen. Ich weiß aber auch, wie wir Buchhändler damals solche Listen ohne jede Zahl aus dem Gefühl heraus beliefert haben und dann auch noch Neuzugänge vorschlagen durften, da haben wir subversiv einfach unsere persönlichen Favoriten als Neuzugang lanciert. Deshalb halte ich von diesen Listen wenig. Aber es gibt auch Verkaufszahlenlisten, da geht es darum wie erfolgreich die Titel sind und das interessiert mich als selbständigen Autor schon. Allerdings bin ich noch nicht auf solch einen Verkaufsschlager gekommen.
Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?
Es gibt genug zu tun, was nicht mit Schreiben zu tun hat, für einen Autor und Publizisten. Lesungen müssen organisiert und durchgeführt werden. Man kann Stoffe und Lokalkolorit recherchieren. Dann hat man schon mal Material, wenn dann wieder der Funke zündet. Auch die Pressearbeit ist ein schöner Aufwand, den man dann betreiben kann. Und schließlich sind Durchhänger und Selbstzweifel ganz normal, diese Einsicht ist schon erleichternd. Wenn man in eine Autorenwerkstatt geht oder zum Stammtisch des VS hat man Kontakt zu Kollegen und findet sich dann in dieser Normalität bestätigt.
Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?
Das läuft so nebenbei und sind viele kleine Bausteine, ich habe beobachtet, dass bei manchen Autoren schon diese Aufgabe deligiert wird an Studenten, die das dann gegen Cash machen, oder an den Verlag, der das mit Festangestellten professionell macht. Insgesamt wächst dieser Aufwand. Aber ich weiß auch noch aus der Zeit des Postbriefes, dass auch Leserbriefe viel Aufwand bedeutet haben. Das ist also eher was, was sich vereinfacht und beschleunigt hat. Ist eben nicht mehr die Schneckenpost dazwischen. Und natürlich ist es damit auch für viele ein Aufwand, die noch gar keine Fans haben, sondern die so erst generieren müssen. Das ist wahrscheinlich das eigentlich neue daran, es ist heute für viele die Illusion, man macht was, trommelt dafür und dann finden das alle gut. Dabei gibt es Überraschungen und auch Enttäuschungen.
Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?
Ich glaube nicht, dass Neulinge sich auf Marketing einlassen dürfen, weil man da schon die eigene Vermarktung zu sehr betonen würde. Die Marke wird sich erst im Zusammenspiel mit dem Markt, also den Lesern ergeben. Da muss man einfach was riskieren und es ausprobieren. Verlage haben diesen Blick auf das „Da könnte was gehen“. Sie müssen aber auch die verlässlichen Marken nutzen, deshalb sind die Regale voll mit Biographien und Büchern von Fernsehstars, Sportlern und Leuten, die als Politiker sich bereits einen Namen, also eine Marke, erarbeitet haben. Für Neulinge halte ich es deshalb für kontraproduktiv, so zu denken. Erst mal machen und dann gucken, was davon funktioniert.
Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?
Ich habe extrem viel gelesen als Jugendlicher und diese Basis beeinflusst mich. Heute lese ich noch mal gezielt Bücher. Mark Twain habe ich so noch einmal neu für mich entdeckt. Carlo Collodi. Für meine Kinderbücher ist das ein wichtiger Einfluss. Für die Krimis lese ich auch gezielt. Andrea Camilleri etwa.
Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?
Da glaube ich, wird sich nichts daran ändern lassen, denn die sind einfach zu feige, ein eigenes Urteil zu treffen, und zu faul, so viel Newcomer zu lesen. Es ist einfach bequemer, die erfolgreichen Sachen noch mal zu machen. Die Leser von Spiegel, FAZ und ZEIT wollen ja auch gar keine Entdeckungen machen. Die wollen nur die Bestätigung bekommen, dass sie das richtige, angesagte lesen und was sie davon zu halten haben. Ein gutes Beispiel dafür ist Edgar Hilsenrath, der ein Massenpublikum mit seinem uralten Buch erreichte, in der Bestsellerliste war und durch die Feuilletons gepeitscht wurde, dabei war das Buch uralt, aber erst dann hat es funktioniert. Die Leute fragten dann, ob man das denn auch schon gelesen hätte. Ja, als noch keiner davon sprach.
Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?
Ich hatte eigentlich die richtigen Fehler gemacht. Und mich zum Glück vorher schon schlau gemacht. So habe ich es vermieden Haifischverlagen Geld in den Rachen zu werfen. Ein guter Tipp war damals, das Seminar „Professionalisierung für Autoren“ des VS zu besuchen. Auch war es wichtig, mit Autoren in Autorenverbänden in Kontakt zu kommen und ich muss sagen, leider fallen ja immer noch viele auf Druckkostenzuschussverlage rein, die teilweise mehre Tausend Euro abkassieren, wenn man das schon mal verhindern könnte, aber leider sind die Menschen oft so verzweifelt, dass sie in so etwas ihre einzige Chance vermuten und bereit sind dafür das Geld für einen Kleinwagen hinzublätttern. Also an alle Neulinge: Tut das nicht!
Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?
Nö, ich habe auch eine gelungene Sexszene in meinem Kriminalroman „Frag nie zu viel – Ein St. Petersburg-Krimi“. Aber ich schreibe eben die Sachen, wo ich mir sicher bin, ich würde ungern über den Falklandkrieg schreiben, das ist nicht mein Thema und mit dieser Situation bin ich nicht vertraut.
Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?
Ich gehe damit sensibel um, und versuche nicht besserwisserisch zu sein. Islamkritik ist nicht mein Ding. In meinem Buch „Hasan ist da!“ habe ich viel mehr gezeigt, dass der Islam zu Deutschland gehört und was eine gelungene Integration sein kann. Ich finde Islamkritik zu populär und paranoid. Auch die Kritik an jüdischer Siedlungspolitik halte ich für zu gefällig. Hier sind doch Ressentiments, die man dann schön plakativ abladen kann.
Ich engagiere mich viel mehr in der Christlich Jüdischen Zusammenarbeit und hoffe auf die Wohltat der Gespräche, des Kennenlernens und des Verständnisses. Ein Kurzkrimi von mir spielt am „Roten Meer“ und ich war dort noch nicht, alles wie bei Karl May, aber ich finde, es gibt mehr Stoffe in Israel als die Siedlungspolitik.
Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?
Sowohl als auch, ich nutze Stimmung und Inspiration aus, aber ich nehme mir auch feste Zeiten vor und gehe planmäßig vor. Es war ja mal eine Unterscheidung: Der Dichter schreibt, wenn ihn die Muße küsst, der Schriftsteller ist in der Lage ein Werk planmäßig zu erstellen. Ich denke, man muss sich beide Seiten dieser Autorenmedaille erhalten. Für den Musenkuss gibt es Notizblöcke und die Überarbeitung und Ausarbeitung erfolgt dann am Computer.
Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?
Es ist schon angekündigt. Der dritte Band meiner Kinderbuchreihe um den außergewöhnlichen Vampirjungen Ernest Flatter spielt in Italien und speziell in Venedig. Das Werk ist gerade im Rohbau, bzw um im Bild zu bleiben, es ist gerade ein Palazzo mit Baustellenschild. Ich rechne nicht mit einer Kernsanierung, sondern nur noch mit einer freundlichen Renovierung im Lektorat. Aber bevor es lektoratsreif ist, werde ich selbst noch einmal einen Korrekturdurchgang machen. Der letzte Lektoratsvorgang hat erstaunlich lange gedauert. Deshalb warte ich mal ab, was mir da zu tun bleibt.
Fabelhafte Bücher: Mit bedanken uns herzlich für das Gespräch.
Jan Michaelis im www