Biografie – Fritz Raddatz: Das Rumpelstilzchen der Literaturszene

(c) Das blaue Sofa / Club Bertelsmann

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Fritz Joachim Raddatz war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Als Feuilletonredakteur der Wochenzeitung Die ZEIT, Essayist und Biograf leistete er viele Jahre einen wesentlichen Beitrag zum Literaturdiskurs in Deutschland. Ende der 70er Jahre initiierte er ein Projekt der ZEIT, dass es sich zum Ziel gesetzt hatte, die 100 besten Bücher der Weltgeschichte zu küren. Im Gegensatz zu Bestsellern, die sich rein nach Verkaufszahlen richten, haben Bestenlisten den Anspruch, eine qualitative Bestenauswahl zu treffen. 

Raddatz wurde in 1931 in Berlin als Sohn eines preußischen Offiziers und späteren UFA-Direktors geboren. Seine Mutter starb bei seiner Geburt. Raddatz studierte Germanistik, Theater und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1954 promovierte er zu Herder, 1971 habilitierte er sich an der Universität Hannover zu Aspekten der DDR-Literatur. Später erhielt er Gast- und Honorarprofessuren in Deutschland und den USA.

Jenseits der Wissenschaft fasste Raddatz erstmals 1953 bei dem Verlag „Volk und Welt“ Fuß. Ende der fünfziger Jahre – Raddatz war zwischenzeitlich nach Westdeutschland übergesiedelt – wirkte er als der leitende Lektor beim Münchner Kindler Verlag. Schon kurz darauf, 1960, wechselte er zum Rowohlt-Verlag und arbeitete mit bekannten Bestseller-Autoren wie Walter Kempowski und Elfriede Jelinek zusammen. 

Seine Funktion, für die er bis heute bekannt ist – die Redaktionsleitung beim Feuilleton der ZEIT, übte er ab 1977 aus. Als Literaturkritiker bewies er stets „Biss“, um es sehr euphemistisch auszudrücken. Seine Kritik konnte vernichtend sein. Gern überspitzte Raddatz mit scharfer Zunge, Effekte waren eher Ziel, als Mittel zum Zweck. 1979 schrieb er über die Verbindungen deutscher Dichter zum Naziregime einen vielbeachteten und bis heute zitierten Artikel.

Später stolperte er über eine unsaubere Recherche, als er Goethe wie folgt zitierte:

„Man begann damals das Gebiet hinter dem Bahnhof zu verändern“

Da Eisenbahnen jedoch zu Lebzeiten Goethes nicht in Betrieb waren, wurde deutlich, dass Raddatz ein ungeprüftes Zitat aus einem anderen Artikel – in diesem Fall aus der NZZ – übernommen hatte. Er wurde auf einen weniger einflussreichen Posten bei der ZEIT versetzt und verließ die Zeitung später ganz: Dieser eigentlich doch wohl verzeihliche Fehler wurde zum Anlass genommen, seinen Rücktritt zu erzwingen – gut vorstellbar, dass er sich hätte halten können, wenn er nicht von jeher wie eine Dampfwalze gegen Freund und Feind gepöbelt hätte.

Fritz Raddatz war auch ein erfolgreicher Buchautor. Er schrieb einflussreiche Biografien über Gottfried Benn, William Faulkner, Karl Marx und Heinrich Heine. 

Raddatz, der sich gerne im Stile eines eitlen Dandys übertrieben auffällig kleidet, äußerte sich bis zuletzt in Interviews gerne zu Fragen von Stil und Lebensart. In der Porsche-Stadt Hamburg drehte auch der Sylt-Liebhaber Raddatz gerne Runden mit seinem Porsche. Über Wein und Kleidung konnte er abendfüllend referieren. Wer den eitlen Snob zu sich nach Hause einladen mochte, sollte peinlichst auf teure Alkoholika und vollzähliges Spezialgeschirr wie „Messerbänkchen“ achten – andernfalls wäre er schnell zum Opfer seiner Häme im nächstbesten Verriss geworden.

Literarisch wusste Raddatz sein Publikum stets in zwei Lager zu spalten. Während die einen seine anspruchsvolle Literatur als völligen Unsinn verunglimpften, attestierten ihm andere eine selten anzutreffende Sprachgewandtheit und Ausdrucksstärke. Insgesamt waren seine Bücher weniger in den Bestsellerregalen zu finden, doch fand er zu allen Zeiten hinreichend Anklang bei Lesern wie auch Kritikern. Zu seinen wichtigsten Büchern gehörten „Eine Erziehung in Deutschland“, die Erzählung „Ich habe dich anders gedacht“ und seine umstrittene Autobiografie.

2003 sorgte das Rumpelstilzchen der Literaturszene wieder einmal für Aufregung, als er seine Autobiografie mit dem passenden Titel „Unruhestifter“ veröffentlichte. Beißend, im Stile einer Abrechnung und mit sichtlicher Angriffslust zog er über prominente Zeitgenossen her, die es gewagt hatten, beim großen Meister in Ungnade zu fallen. Wie er sich damals – und bis heute – über Helmut Schmidt äußerte und äußert, ist erschreckend beleidigend (siehe untenstehende Zitate). Und die Leserschaft? Raddatz‘ Autobiografie wurde allerdings ein Bestseller – wieder einmal bewahrheitete sich die Marketingweisheit, wonach es so etwas wie „schlechter Publicity“ nicht gibt. „Unruhestifter“ ist bei Random House auch als Hörbuch verfügbar.

Zuletzt lebte Fritz Raddatz, mittlerweile bekennend homosexuell, vorwiegend in Hamburg. Er starb am 26. Februar 2015 im Alter von 83 Jahren.

Rahmendaten:

Geboren am 3. September 1931

Geboren in Berlin

Zitate, die Raddatz zugeschrieben werden:

„Ich verachte ihn. Schmidt ist ein Bescheidenheitsprotz, der öffentlich Erbsensuppe predigt und heimlich Subventionswein trinkt.“ (Über Altbundeskanzler Helmut Schmidt).

„Dieser an Geschwätz-Diarrhoe leidende Ersatz-Hindenburg benutzt den Apparat des Bundeskanzleramtes, immerhin steuerbezahlte Leute, als seien sie seine persönlichen Domestiken.“ (Über Altbundeskanzler Helmut Schmidt).

„Und der nun vollends grauslige Reich-Ranicki, der buchstäblich nicht ein Wort, nicht einen Satz über ein Buch, ein Gedicht, irgendeinen Inhalt reden kann. Es geht wie ein Wasserfall nur über Literaturklatsch.“

„Die dicke, geradezu viereckige Kröte Augstein, dem Krethi und Plethi beflissen nicht nur das Bier bringt, sondern auch die Flaschen öffnet.“ (Über den ehem. Spiegelherausgeber Rudolf Augstein)

Gespräch mit Denis Scheck auf youtube:

Raddatz Bücher, die man gelesen haben sollte:

 

 

 

 

 

 


Autor: Beste Bücher