Interview mit Gabrielle Alioth
Gabrielle Alioth, geboren 1955 in Basel (Schweiz), lebt in Irland. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Kunstgeschichte und einer mehrjährigen Tätigkeit als Konjunkturforscherin übersiedelte sie 1984 nach Irland, wo sie zuerst als Übersetzerin und Journalistin für deutsche Zeitungen und Rundfunkstationen tätig war. 1990 erschien ihr erster Roman Der Narr, der vom Literaturhaus Hamburg ausgezeichnet wurde. Neben weiteren Romanen, zuletzt Die griechische Kaiserin, publiziert sie Kinder- und Reisebücher. Ausgedehnte Lesereisen durch Europa, Nordamerika und Indien sowie Unterrichtstätigkeit an amerikanischen, irischen und schweizerischen Universitäten.
Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?
Gabrielle Alioth: Nein, (leider? fälschlicherweise?) überhaupt nicht. Ich schreibe zuerst einmal für mich selbst, über Ereignisse, Personen, Konstellationen, die mich interessieren. Natürlich ist es schön, Bücher zu publizieren, aber es ist nicht mein Antrieb zum Schreiben, das durchaus auch eine Sucht ist. Dieser liegt vielmehr im Wunsch, ein Bild, einen Eindruck, ein Gefühl, eine Erinnerung oder einen Gedanke genauso aufs Papier zu bringen, wie ich ihn in meinem Kopf (oder Herz) habe. In 95% der Fälle gelingt mir das nicht, und ich gebe irgendwann auf, schreibe weiter, weil ich weiter schreiben muss. In den 5% der Fälle aber, in denen es mir gelingt – nun, das ist das beste Gefühl, dass es gibt, und das lockt mich jeden Tag wieder an den Schreibtisch.
Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?
Gabrielle Alioth: Ich kann nicht behaupten, dass solche Listen mich nicht auch schon auf spannende und gute Bücher aufmerksam gemacht haben, obwohl ich eine instinktive Abneigung gegen Vielgelobtes habe.
Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?
Gabrielle Alioth: Kurzfristig: Autofahren (am liebsten gut ausgebaute Bergstraßen)
Langfristig: Eine neue Geschichte beginnen, die mir wirklich Spaß macht.
Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?
Gabrielle Alioth: Zu wenig, sagt mein Verlag, zu viel, finde ich. „Administration“ – und darunter würde ich solche Aktivitäten zählen – macht manchmal fast 50% der Arbeitszeit aus, aber immerhin kann man sie auch abends erledigen, wenn man für den Tag bereits „ausgeschrieben“ ist.
Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?
Gabrielle Alioth: Qualität – ist das ein Marketinginstrument?
Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?
Gabrielle Alioth: SchriftstellerInnen, die was wagen, sprachlich, stilistisch, kompositorisch, Schreibende, die sich selbst treu bleiben und den Lesern was abverlangen.
Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?
Gabrielle Alioth: Weil der Literaturbetrieb sich nur um sich selbst kümmert und nicht um Literatur. Es ist ein Zirkus, in dem die Schreibenden bloß die Nummerngirls sind. Abschaffen des ganzen Zirkus – unrealistisch, ich weiß.
Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?
Gabrielle Alioth: Ich habe wahnsinnig Glück gehabt am Anfang meiner Schreibkarriere und eine Verlegerin, die verhinderte, dass ich Fehler machte. Neulingen empfehle ich, das zu schreibe, was sie selbst interessiert, und sich nicht ständig zu überlegen, was man publizieren kann und was nicht.
Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?
Gabrielle Alioth: Ja, als passionierte Hundebesitzerin finde ich es fast unmöglich, über Hunde zu schreiben. Nie habe ich so geheult beim Schreiben wie bei der Szene, in der meine Kinderbuchheldin sich von ihrem magischen Hund verabschieden musste.
Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?
Gabrielle Alioth: In meinen eigenen Büchern verschiebe ich die aktuelle Problematik oft in die Vergangenheit; der geneigte Leser erkennt die Verbindung zu heute, der nicht geneigte, wird mein Buch eh rasch weglegen.
Ich denke, Autoren dürfen und sollen in ihren Büchern durchaus auch extreme Positionen beschreiben, wenn sie diese mit der notwendigen Komplexität schildern. Was nicht angeht, ist Verfälschung der Realität, Geschichtsklitterung, Leugnen historischer Ereignisse (z.B. des Holocausts) und „Pornographie“, also ein Missbrauch politscher Positionen zum Selbstzweck.
Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?
Gabrielle Alioth: Ich muss das Schreiben nicht strukturieren, ich muss alle anderen Arbeiten, die ich machen muss, strukturieren, damit ich nicht den ganzen Tag am Schreiben bin.
Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?
Gabrielle Alioth: Es geht um einen widerspenstigen Heiligen.
Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.