Rezension von Beste Bücher
Die schöne und charismatische Anna Arkadjewna Karenina ist die Hauptprotagonistin dieses Buches, mit dem berühmten ersten Satz: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Zu Beginn des Buches ist sie diejenige, die nach Moskau reist, um zwischen ihrem Bruder Stiwa und dessen Frau Dolly zu vermitteln. Stiwa, der ohnehin ein ziemlicher Nichtsnutz ist, der das Geld der Familie verschwendet, betrog seine Dolly mit einer Gouvernante seiner Kinder.
Anna Karenina vermittelt erfolgreich und bringt die Eheleute wieder zusammen. Doch ist es ausgerechnet sie, die nun selbst eine Affäre beginnt. Graf Alexej Wronski, kurz „Aljoscha“ ist bedeutend jünger, sprunghaft und stolz im Auftreten und außerdem ein verwöhntes kleines Bürschlein aus besten Hause, das Zurückweisung nicht gewohnt ist. Ständig darauf aus sich zu beweisen, bietet sich dem Leser das Bild eines verunsicherten jungen Mannes, der stets darauf bedacht ist, eine „bella figura“ abzugeben.
Ein Schlüsselmoment des Buches ist ein Ball in Moskau. Kitty Schtscherbatski, die anmutige jüngere Schwester von Dolly hat sich ganz besonders fein gemacht – sie möchte Alexej Wronski für sich gewinnen. Zugleich taucht der sympathische aber in sozialen Dingen etwas ungelenke Konstantin Dmitrijewitsch Ljewin auf, der sich unsterblich in Kitty verliebt hat. Kitty verschmäht Ljewin, obwohl nicht ganz klar ist, ob dieser sich richtig verständlich gemacht hat. Wronski hingegen, eine Taugenichts vor dem Herrn, hat jedoch gar nicht vor, die kleine Kitty zu ehelichen und zeigt auf dem Ball unverhohlen sein Interesse für die verheiratete Anna Karenina. Daraufhin wird Kitty, die durch die Niederlage in eine Lebenskrise gestürzt wird, krank und muss Zeit im Ausland verbringen um wieder zu genesen. Im heutigen Sprachgebrauch würde man von einer Dramaqueen reden….
Anna Karenina ist mit einem einflussreichen Regierungsbeamten verheiratet und hat einen Sohn, den sie liebt – wenn auch nicht „über alles“, wie sich zeigt – letztlich wird sie ihn aufgeben um ihrer außerehelichen Affäre nachgehen zu können. Alexej Karenin, ihr Mann, ist zwar nicht unsympathisch, doch stellt Tolstoi ihn uns als einen ausgesprochenen Kopfmenschen vor. Er analysiert und analysiert, lässt dabei jedoch die nötige Leidenschaft vermissen. Sein dazu passender Zug, die Geschehnisse mit Ironie, bisweilen Sarkasmus zu kommentieren und sein wenig ansprechendes Äußeres tragen ebenfalls nicht dazu bei, die Affäre zu verhindern.
Als Anna dem Drängen Wronskis, inzwischen ein junger Offizier, nachgiebt, verbreitet sich die Nachricht in der klatschsüchtigen russischen Oberklasse auf der Achse Moskau / Sankt-Petersburg in WIndeseile. Bis die Nachricht zum betrogenen Ehemann durchdringt, weiß es der letzte Gassenjunge. Das Verhältnis von Anna zu ihrem Mann wandelt sich. Zunächst noch vom schlechten Gewissen bewegt, sieht sie in ihm bald nur noch das Hindernis zu ihrem Glück. Jede negative Eigenschaft, jede äußerliche EIgenart wird ihr nun zuwider und hasserfüllt gesteht sie ihm ihre Liebe zu Wronski. Da sie inzwischen ein Kind von ihm erwartet, lässt sich die Affäre ohnehin nicht länger leugnen.
Im Inland nun unmöglich gemacht, verlassen die beiden Ehebrecher nun für längere Zeit das Land und reisen durch Europa. Wronski, der zwar ebenso schlecht mit Geld umzugehen vermag wie der Rest der russischen besseren Gesellschaft, hat die dazu nötigen Mittel aus den Erträgen einer größeren Erbschaft. Derweil finden Kitty und Konstantin Ljewin doch noch zueinander, heiraten, bekommen einen Sohn und leben auf dem Land.
Nach einem Jahr kehrt Anna Karenina zurück nach St. Petersburg – sie sehnt sich nach ihrem Sohn. Wenngleich es ihre eigene Entscheidung war – sie vergibt ihrem Wronski nie so recht, dass sie über ihn ihren Sohn verlor. SIe muss einen Bediensteten bestechen, um heimlich einige Momente mit dem Jungen verbringen zu können. Die Szene geht zu Herzen, wenngleich weniger aus Mitleid für die Ehebrecherin, wohl aber für den Jungen der nun auf seinen Vater verwiesen ist, der seinen Sohn kühl und ohne väterliche Gefühle betrachtet. Die heuchlerische St. Petersburger Gesellschaft verstößt den Grafen Wronski nicht, wohl aber Anna Karenina. Ein trotziger Theaterbesuch wird als Affront aufgenommen.
Nach diesem mißglückten Versuch, wieder in der Stadt Fuß zu fassen, zieht das Paar aufs Land zurück. Anna ist mit ihrer Tochter Annie beschäftigt, Wronski mit seiner kapriziösen, zu groß dimensionierten Gutsverwaltung. In dieser Zeit wird Anna zutiefst unglücklich – sie realisiert ihre Lage und versteht nun, dass ihr Glück in der Hand ihres Noch-Ehemannes liegt. Um überhaupt eine Chance zu haben, gesellschaftlich rehabilitiert zu werden, muss dieser in die Scheidung einwilligen, was Anna Karenina die Chance gäbe, ihre Beziehung zu Wronski zu legitimieren. Außerdem liegt es in seiner Hand, ihr Zugang zu ihrem Sohn zu gewähren.
Doch bevor es zu entsprechenden Plänen und Entschlüssen kommt, eilt Tolstois „Anna Karenina“ seinem finalen, dramatischen Schluss entgegen….
Rezension:
„Anna Karenina“ ist ein Epos. Gleichwohl ist der Stoff nicht neu. Es ist das selbe Muster wie bei Effi Briest und Madame Bovary: Die Hauptdarstellerin ist eigentlich zu hübsch und zu aufregend, um mit dem Langweiler und Spießer von Ehemann zusammen zu bleiben. Fremdgehen ist da letztlich unausweichlich und der betrogene Ehemann schließlich ein wenig selbst schuld.
Die Kraft von Tolstoi liegt auch bei „Anna Karenina“, ähnlich wie bei „Krieg und Frieden“, wieder im Zuschnitt der Akteure. Mit ungeheurer psychologischer Raffinesse gelingt es Tolstoi bei beiden Bestsellern – und mit ihm dem Leser – sich in die Gefühlswelt der Akteure einzuleben. Niemand ist eindeutig gut oder schlecht – man versteht gewissermaßen, warum Anna handelt, wie sie handelt. The heart wants what the heart wants. Der Ehemann: Man sieht förmlich seine nervtötenden Eigenschaften und teilt Annas Abneigung – und doch lässt uns Tolstoi auch seine Scham und Verzweiflung spüren, als er sieht, wie mit ihm verfahren wird.
Zugleich nutzt Leo Tolstoi den Rahmen um die bessere russische Gesellschaft mit ihren Eigenheiten und Lächerlichkeiten zu analysieren. Tolstoi, der als reicher Adliger selbst aus der Oberschicht stammte, gibt seine Schicht gründlich der Lächerlichkeit preis. Wie auch sonst glorifiziert er dabei die sog. „einfachen Menschen“ ein wenig – eine Angewohnheit, mit der man beim russischen Großschriftsteller leben muss. Die Moral, die oft in den Roman hineingelesen wird, lautet zusammengefasst: „Arme Ehefrau rettet sich aus Umklammerung missglückter Ehe, doch die böse Gesellschaft verzeiht ihr nicht und treibt sie ins Unglück.“ Das kann man halten wie man mag. Fest steht, dass zumindest in „Anna Karenina“ letztlich restlos alle Protagonisten in Kareninas direktem Umfeld unglücklich wurden. Tolstoi selbst moralisiert nicht, und wenn doch, dann nur im Kleinen. Gewissermaßen am Wegesrand. Seine Stärke ist die psychologische und gesellschaftliche Analyse.
Infos
- Anna Karenina wird von vielen Beobachtern unter die besten Romane der Welt gezählt
- Der Bestseller ist alleine ins Deutsche ca. 20 mal übersetzt worden, es sind mindestens 13 Verfilmungen bekannt
- Im Original: Анна Каренина
- Biografie Leo Tolstoi
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