Interview mit Simak Büchel
Simak Büchel wurde 1977 in Bonn geboren, studierte Biologie, Philosophie und Germanistik und leitete internationale Jugendbegegnungen in Ostafrika. Mit einer Arbeit über deutsche Kolonial- und Afrikaliteratur wurde er promoviert. Seit 2007 ist er Autor, bringt Kindern mit seinen Abenteuer-Lesungen die Faszination für Geschichten näher und entführt, schauspielernd und lesend, in die Welten der Fantasie. Sein Schaffen wurde mit mehreren Stipendien ausgezeichnet. Zuletzt wurde sein Text „Der Bär“ für den Manuskript-Kurzhör-spielwettbewerb des Leipziger Hörspielsommers nominiert. Mit seiner Familie lebt er in Ruppichteroth im Bergischen Land.
Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Die „Konkurrenz“ ist also gewaltig. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?
Simak Büchel: Natürlich kann sich bei einem das Gefühl einstellen, man würde – durch das Schreiben eines weiteren Buches – lediglich seine eigene Sanduhr in der Wüste zerschlagen. Doch für Menschen wie mich, denen der Prozess der Weltvergegenwärtigung durch das Schreiben nicht nur Lebensunterhalt, sondern Lebensmethode ist, stellt sich die Frage nicht, ob man tatsächlich ein neues Buch in Angriff nehmen sollte. Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit von Lesenden, die Teile Ihrer Lebenszeit in Lektüre investieren, ist enorm, aber deswegen strukturiere ich meine Themenauswahl nicht anders. Die Geschichten, die ich beginne, finden zu mir und verlangen meine Aufmerksamkeit. Ich ziele schreibend nicht auf irgendwelche Marktlücken, sondern auf Realitätskerne, die sich in meiner Biographie oder Wahrnehmung herauskristallisieren. Jedes Buch bedeutet für mich Experiment und Erkenntnisgewinn. Also: nein! Wenn ich ein neues Buch in Angriff nehme, dann schiele ich nicht auf die Weite der Wüste, sondern auf die Handvoll Sandkörner, mit denen ich im Begriff stehe, eine Welt zu (re-)konstruieren.
Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?
Simak Büchel: Ich finde, Bücherrankings haben ihre Daseinsberechtigung, da es verschiedene Formen des Lesens gibt: Lesen als reine Unterhaltung, Lesen als Stoffreservoir für soziale Interaktion, Lesen als Suche nach benachbarten Stimmen. Ich selbst finde meine Lektüre meist nicht in Bestseller-Listen, nutze diese jedoch – ethnographisch – als Seismograph für gesellschaftliche Großwetterlagen.
Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?
Simak Büchel: Ja, diese Phasen kennt wohl jeder, der von seinen Ideen lebt. Da meine Geschichten sehr langsam ausreifen, sind Schreibblockaden und Selbstzweifel immer wieder kritische Engpässe. Um diese zu überwinden, benötige ich vor allen Dingen eines: Geduld. Hilfreich sind mir in besagten Momenten Genre- und Formatwechsel, die es erlauben, die eigene Stimme literarisch in verschiedenen Tonlagen zu beanspruchen. Nachdem ich meine „Bogumil“-Trilogie abgeschlossen hatte, waren keine Großprojekte soweit nachgereift, dass ich gleich den ersten Satz hätte schreiben können. Überbrückt habe ich diese Phase durch das Ausprobieren neuer Formate, ich habe das Libretto für ein Kindermusical geschrieben, mich im Hörspielbereich getummelt und wieder einmal Kurzgeschichten verfasst. Erzwingen lässt sich nichts, man kann der eigenen Stimme nur eine Erholung gönnen, indem man den Blick auf das Schreiben aus anderer Perspektive richtet.
Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?
Simak Büchel: Sichtbarkeit um jeden Preis ist nicht mein Ziel. Wenn ich etwas zu sagen habe, dann tue ich das. Wenn ich nichts zu sagen habe, halte ich die Klappe. Auf der anderen Seite ist ein gewisses Maß an Sichtbarkeit für mich als Autor unerlässlich, deswegen habe ich mich ja auch dazu entschlossen, die Fragen dieses Interviews zu beantworten. Darüber hinaus unterhalte ich seit 2007 eine eigene Webseite, auf der ich meine Arbeit präsentiere. Aber auch hier gilt: Aktualisierungen nehme ich vor, wenn etwas Neues passiert ist. In meinem Journal können schon einmal Wochen zwischen zwei Einträgen vergehen. Wichtiger ist mir die analoge Begegnung mit Lesenden, u. a. bei den zahlreichen Schullesungen, die ich alljährlich im deutschsprachigen Raum durchführe.
Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?
Simak Büchel: Wichtiger noch als Marketinginstrumente erscheint mir, sich im Themenfeld Urheberrecht schlau zu machen, damit man in Verlagsverhandlungen weiß, worauf es ankommt.
Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?
Simak Büchel: Mich inspirieren vor allen Dingen Werke, die ein hohes Maß an Komplexität aufweisen und – je für ihre Zeit – Gesellschaft abbilden. Beeinflusst wurde ich von großen Erzählern wie Fontane, Raabe, Proust, Joyce und Faulkner. Aber auch die Polarität zwischen Ernst Jünger und Kurt Tucholsky hält mein Bücherregal aus. Zuletzt begeistert haben mich Bruce Chatwins „The Songlines“, David Mitchell und Dietmar Dath.
Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?
Simak Büchel: Das Bekannte detaillierter zu kartographieren, ist eine lohnende Aufgabe, da man sich des Interesses vieler sicher sein kann. Literarisches Neuland zu empfehlen, ist immer mit Risiken verbunden, zumal Aufmerksamkeit kein unendlich teilbares Gut ist. Anders formuliert: wer die Aufmerksamkeitsschwelle des Feuilletons einmal überschritten hat, wird auch für seine zukünftigen Werke vermutlich Aufmerksamkeit erhalten; das bringt eine gewisse Form der Sicherheit mit sich in einem ansonsten unsicheren Metier. Bis dahin gilt es einfach gelassen zu bleiben und sein Leben zu leben. Indigene Völker, die während spektakulärer Expeditionen „entdeckt“ wurden, hatten vor diesem Moment ja auch schon eine Kultur, Traditionen und ein erfülltes Leben. Es verändert sich „nur“ der Rahmen …
Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?
Simak Büchel: Ich würde im Nachhinein keinen meiner Anfängerfehler vermeiden wollen, da jeder Fehler mein Schreiben geformt hat. Wer darauf bedacht ist, keine Fehler zu machen, der sollte auch keine Bücher schreiben. Jedes neue Buch ist nämlich der Versuch, sich selbst zu übertreffen.
Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?
Simak Büchel: Ich bemühe mich um einen differenzierten Umgang, nicht nur beim Thema politischer Zuschreibungen. Wichtig ist mir, dass wir Autorinnen und Autoren, als professionelle Wortarbeiter nicht in die Falle monokausaler Erklärungsmuster gehen, sondern Themen möglichst ruhig, vernünftig und klar erhellen. So banal es klingt: Literatur ist für mich ein stetiges Oszillieren um die Wahrheit. Wie man diese verkleidet, verbrämt, deformiert – das lernt man im beständigen Umgang mit Sprache und aus der Analyse und Lektüre von Literatur. Wir Autorinnen und Autoren sind sensibilisiert für Worthülsen, rhetorische Mittel und propagandistische Argumentationsstrukturen. Wo wir diese bemerken, sollten wir darauf hinweisen und für die gerechte Sache streiten.
Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?
Simak Büchel: Ich fürchte, bei mir ist die Strukturierung des Tages ein eher passiv erduldeter Prozess. Als Familienvater und höchst aktiver Literaturvermittler im deutschsprachigen Raum sind die Zeitfenster zum Schreiben (momentan) begrenzt. Es gibt Monate, in denen ich ausschließlich lesend durchs Land ziehe, in dieser Zeit Stoffe verdichte und Ideen sammle. In auserkorenen Schreibphasen setze ich mich dann an neue Projekte.
Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?
Simak Büchel: Wenn ich zu viel über aktuelle Projekte rede, brauche ich die Bücher nicht mehr zu schreiben. Neben Kinderbüchern ist aber auch ein Roman in den Fokus gerückt. Mehr kann ich leider nicht verraten.
Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.