Interview mit Achim Raven

 

Achim Raven, geb. 1952 in Düsseldorf veröffentlicht seit 1984 Lyrik, Prosa, dramatische Texte. Für einiges gab es auch Preise.

Fabelhafte Bücher: Jedes Jahr buhlen im deutschsprachigen Raum weit mehr als 100.000 Bücher in Neuauflage um die Aufmerksamkeit der Leser. Denken Sie über sowas nach, wenn Sie ein neues Buch in Angriff nehmen?

Nur ein einziger Gedanke: Wenn es so viele Bücher gibt, ist auch Platz für ein paar mehr.

Fabelhafte Bücher: Bestsellerlisten wie beispielsweise die Spiegel-Bestseller-Liste waren immer schon heiß umstritten und doch orientieren sich nun mal viele Menschen an den Lesegewohnheiten anderer Leser. Wie stehen Sie zu solchen Bücherrankings?

Für Urlaubskrimis und dergleichen eine brauchbare Orientierung, sonst erweisen sich Bücher aus solchen Listen zuweilen als handwerklich solide Nobrainer. (Beispiele können auf Anfrage genannt werden.) Persönliche Tipps (zum Beispiel vom Buchhändler meines Vertrauens) sind ergiebiger.

Fabelhafte Bücher: Schreibblockaden, Selbstzweifel oder einfach zu viel zu tun: Jeder Autor hat mal Durchhänger. Was ist Ihr Geheimrezept?

Die hängt man halt durch. In solchen Phasen klärt sich im Hinterkopf einiges, zum Beispiel was am bisherigen Manuskript zu verwerfen oder zu ändern ist. Außerdem halte ich Schreibblockden und Selbstzweifel für eine sinnvolle psychische Schutzreaktion. Angenehm ist das trotzdem nicht. In solchen Phasen empfehlen sich möglichst literaturferne Tätigkeiten. Manchmal hilft auch Termindruck.

Fabelhafte Bücher: Ob Indieautor oder Verlagsautor – längst wird erwartet, dass Autoren auf ihre Leser zugehen. Lesungen reichen nicht mehr, der Autor sollte möglichst auch im Internet präsent sein. Wie viel Zeit setzen Sie ungefähr für diese Aktivitäten rund ums Buch ein?

Viel zu wenig, weil ich keine Lust dazu habe. Ich bin kein Dienstleister.

Fabelhafte Bücher: Wenn Neulinge Sie nach einem Tipp fragen würden: Auf welches Marketinginstrument setzen Sie in erster Linie?

Kommt drauf an, was Neulinge so wollen. Wer reich und berühmt werden möchte, sollte genau erheben, was gern genommen wird und daran seine Produktion ausrichten. Also: die handwerklichen Standards erfüllen, einen umtriebigen Agenten suchen, sich gut medial verankern, immer dahin gehen, wo es wichtig ist. Wer das nicht will, sollte ein einigermaßen gesichertes Einkommen haben, seine literarische Produktion radikalisieren, theoriefähig sein, den Austausch mit Gleichgesinnten suchen.

Fabelhafte Bücher: Von welchen Schriftstellern sehen Sie sich in Ihrem eigenen Werk beeinflusst? Wer inspiriert Sie?

(Wieso beinflussen nur Schriftsteller?) Mit 17 habe ich Die letzten Tage der Menschheit gelesen und Trout Mask Replica gehört, 45 Jahre später Alenka Zupančič und Scott Walker & Sunn O))), dazwischen viel anderes, und alles hinterlässt Spuren.

Fabelhafte Bücher: Wieso werden von den großen Feuilletons, egal ob Spiegel, FAZ, ZEIT oder sonstigen Granden des Literaturbetriebs, immer nur die üblichen Verdächtigen rezensiert, die ohnehin jeder kennt? Wie könnte es gelingen, Newcomer stärker in den Vordergrund zu rücken?

Das Bewährte hat sich immer schon bewährt, und der Newcomer ist per se ein Indenvordergrundrücker, denn er hat sich und seine Produktion bereits für bestehende Marktsegmente formatiert, lediglich der Zufall entscheidet über Glück oder Pech.

Fabelhafte Bücher: Nach Ihren Erfahrungen – welche Anfängerfehler würden Sie im Nachhinein vermeiden – was können Sie Neulingen empfehlen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Buch zu schreiben?

Es ist schon schwer genug, aus eigenen Erfahrungen sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Fremde perlen völlig ab, deshalb haben Ratschläge auch immer sowas Wohlfeiles. Sonst lediglich zwei handwerkliche Tipps: 1. Erst mit dem Schreiben anfangen, wenn der Schluss feststeht. 2. Alles lässt sich mit weniger Worten sagen.

Fabelhafte Bücher: Viele Schriftsteller tun sich beim Schreiben von Sex-Szenen ziemlich schwer. Gibt es Themen oder Situationen, bei deren Beschreibung Sie sich schwer tun?

Ich werde misstrauisch, wenn sich keine Schwierigkeiten ergeben. Jedes Schreiben ist exhibitionistisch, nicht nur das über Sex. Man muss auch nicht jede Schwierigkeit um jeden Preis überwinden wollen. Schreiben ist ja kein Sport.

Fabelhafte Bücher: Als heikel gelten auch politische Zuschreibungen, etwa Islamkritik oder Kritik an jüdischer Siedlungspolitik um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie gehen Sie mit dem Thema um und welchen Umgang erwarten Sie sich von Autoren insgesamt zu dem Thema?

Die Frage geht meines Erachtens von einer irrigen Voraussetzung aus: Literatur entsteht nicht dadurch, dass eine Sache zur Sprache gebracht wird. Das ist Journalismus. Literatur entsteht dadurch, dass die Sprache zur Sache kommt: Das heißt der Sinn der Dinge, ihre Wirklichkeit und Wirkmacht, hängt von ihrer sprachlichen Gestalt ab, erst die sprachliche Gestalt macht den Sinn. Literarische Kritik ist immer Sprachkritik. Die Auseinandersetzung damit, wie etwas gesagt wird umfasst immer auch schon, was gesagt wird. Eine Kritik, die ansetzt bei dem, was gesagt wird, beschränkt sich auf eine Untersuchung des Informationsgehalts. Das ist notwendig, aber nicht hinreichend. Es reicht nicht hin für oder gegen etwas zu sein, die Formulierungen sind zu überprüfen: Sind sie eliminatorisch, euphemistisch, alarmistisch, phrasenhaft etc.? Entscheidend für politische Aussagen von Literatur ist nicht die Meinung des Autors / der Autorin, sondern eine Haltung, die weit über die literarische Grundqualifikation hinausgeht (die sich erschöpft in Vorstellungskraft, Meinungsfreude, sprachlicher Versiertheit, intellektueller Attitüde und dem unbedingten Willen mitzugestalten). Eine solche Haltung hätte allerdings nur Bestand, wenn sie unter dem Radar der Feuilletons und Buchbesprechungen flöge. Das hält keiner durch.

Fabelhafte Bücher: Wenn Sie schreiben – wie strukturieren Sie Ihren Tag? Schreiben Sie, wenn Sie gerade in Stimmung sind? Oder haben Sie sich feste Zeiten reserviert?

Da ich mit dem Schreiben fast nichts verdiene, kann ich mir regelmäßige Bürozeiten nicht leisten. Ich schreibe immer dann, wenn ich absehen kann, dass mir vier, fünf Stunden lang nichts dazwischenkommt.

Fabelhafte Bücher: Bitte verraten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt. Wovon soll Ihr nächstes Buch handeln, was können Sie schon verraten?

Zwei Arbeiten sind so gut wie fertig und gehen gerade durch die Hände von Freunden bzw. liegen Verlagen vor. Was damit wird, ist nicht abzusehen:

Liebling der Götter, ein Roman, der u.a. beschreibt, womit eine Gruppe versprengter antiker Götter, die zwar unsterblich sind, aber von keinem mehr gebraucht werden, sich die Zeit vertreibt.
Frühlingsfeyer im Abraum Klopstock-Paraphrasen, ein Gedichtband, in dem Klopstocks Frühlingsfeyer als Materialbasis für Wort- und Bildfindungen genutzt wird.

Fabelhafte Bücher: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

 



Weitere Hintergründe zum Autor

  • Erster Preis im Schreibwettbewerb der Westfälischen Redaktion des WDR (1991).
  • Veröffentlichungen: Menschen im Abgrund, Persiflage (1984). Es ist immer Heimat, Hörspielcollage (1991). Wichtige Gedichte (1997, Grupello). Ocktavenmännchen Sissimo, Gedichte (2006, Onomato Verlag).