Inhaltsangabe und Rezension

zweig_Verwirrung_der_gefuehleNeben der „Schachnovelle“ ist „Verwirrung der Gefühle“ nach allgemeiner Auffassung die wichtigste, in jedem Fall aber die bekannteste Novelle von Stefan Zweig. Der Dreh- und Angelpunkt des sehr kompakten Werkes ist die Genese sexueller Leidenschaften. Als Protagonist steht zunächst ein junger Student im Mittelpunkt des Geschehens, – Roland – der durch unerwartete Umstände in eine Dreieckskonstellation gerät. Er entwickelt geradezu messianischen Eifer für einen charismatischen Literaturprofessor, an den er sich zunehmend auch privat bindet. Durch und durch naiv bleibt ihm bis zuletzt allerdings unklar, dass das Interesse seines Lehrers an ihm nicht nur akademischer Natur ist, sondern dass sich dieser – mit seiner bürgerlichen Existenz hadernd – vor allem sexuell von seinem Schützling angezogen fühlt.

Mit schlechtem Gewissen merkt Roland andererseits, dass er sich seinerseits mehr und mehr für die junge Frau des Professors interessiert. Was als Flirt beginnt, steigert sich zur unheilvoller Entwicklungen. Zugleich bemerkt er natürlich, dass der Professor und seine Frau keineswegs miteinander auskommen und sich wie Fremde begegnen, ohne freilich zu wissen warum. In diesem verworrenen und für den jungen Mann nicht zu durchschauenden Beziehungsgeflecht kommt es schließlich zum Eklat und die Protagonisten müssen Farbe bekennen.

Erzählerisch ist Zweig eine große Leistung geglückt. Trotz des geringen Umfangs von wenigen Dutzend Seiten gelingt es ihm, scharf konturierte Figuren ins Leben zu rufen und beim Leser Interesse für deren Schicksal zu wecken. Wo Zweig also viel Handlung in wenig Seiten packen muss, ist er entsprechend stringend im Handlungsaufbau und gestattet sich wenig Abschweifungen. Dem Leser kommt es entgegen, gewinnt die Novelle doch so an Fahrt und Spannung.

Es ist des Autoren Stärke, zu „psychologisieren“, das heißt aus den vordergründigen Handlungssträngen die gewichtigen psychologischen Motive herauszuarbeiten. Welche Kräfte lassen einen Menschen gleichsam hin und her wanken, wenn das Herz will, was der Verstand, die Moral, die Konvention verweigert? Und so macht Zweig tiefste Abgründe und höchste Leidenschaften kenntlich, die wir als Leser vielleicht im Ansatz aus uns selbst kennen und daher den Protagonisten gerne vergeben. Stilistisch und ästhetisch auf höchstem Niveau und zugleich so spannend, dass es massentauglich ist: Dieser Spagat gelingt Stefan Zweig vielleicht nicht in jedem Werk, auf jeden Fall aber in „Verwirrung der Gefühle“.

Dr. Stefan Zweig kam 1881 in Wien als Sohn wohlhabender Kaufleute zur Welt und lebte später nach seiner Emigration unter anderem in England und Brasilien, wo er sich 1942 das Leben nahm. In Nazideutschland wurden seine Bücher verbrannt. Sein bekanntester Förderer war Hugo von Hofmannsthal, der ihm äußerlich sehr ähnlich sah. Zweig gehört zu den wichtigsten Schriftstellern Österreichs und war einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit.

 

Von M. Gröls