Rezension von Fenna Wächter
Am Anfang war die Insel. Mit Erinnerungen an eben diese Insel und das Leben auf ihr verbringt Anna ihre Zeit im Altersheim. Auf der Schäreninsel mit kleiner Hütte und Sauna-Häuschen hat sie die Sommer mit Antti verbracht. Sie erinnert sich an jedes noch so kleine Detail, als hätte sie ihr erst gestern den Rücken zugekehrt und nicht schon vor Jahrzehnten:
„Auf der Insel gab es einen flachen, blassroten Felsen, zwei Froschteiche, hier und da hineingeworfene Findlinge und in einer Richtung den leeren Horizont. Zähe, krumme Kiefern wuchsen gegen den Südwestwind, alle Äste waren mit dem Wind verbogen. Vor den Kiefern lag Kies, an den sich ein Bereich mit größeren Steinen anschloss, der sich bis ins langsam tiefer werdende Wasser hinein fortsetzte […] Das Häuschen stand neben dem Felsen. Vom Meer aus konnte man es im Sommer nicht sehen, aber wenn die Blätter weg waren, leuchtete das Blechdach zwischen den Bäumen. Vor dem Häuschen breitete sich ein zweites Geröllfeld aus, wo zwischen den Steinen Mädesüß, Schilf und fünf hartnäckige Erlen wuchsen.“
Doch Anna verlässt die Insel, und so kommt es, dass ihre Erinnerungen noch ein anderes Leben beinhalten, nämlich eines in London, gemeinsam mit Thomas. An die gemeinsame Wohnung über dem indischen Restaurant, dessen Ofen das Wohnzimmer im Winter so schön wohlig warm hält. Bereits hier hat Anna, mit knapp 40, Probleme, sich zu erinnern. Mehr und mehr verdrängt sie, und stellenweise wendet sie sich ihren imaginären Kindern zu, die sie hier in London begleiten, bis sie sie eines Tages am Flughafen Heathrow absetzt.
Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm, ist eine Reihe von Momentaufnahmen aus einem Leben. Selja Ahava springt leichtfüßig von Szene zu Szene die sich zu einer wunderschönen Flickendecke zusammenreihen. Herausgekommen ist so ein unheimlich trauriges und berührendes Buch, das sich viel mit dem Erinnern und Vergessen befasst. Die Anna der Gegenwart, die mit Gott die Gänge des Altersheims entlangspaziert, leidet unter altersbedingter Demenz. Die Anna, die durch London streift hingegen vergisst Einzelheiten auf eine bewusstere Art und Weise, sie verdrängt, schockbedingt, bestimmte Szenen und erinnert sich umso klarer an andere. Besonders interessant ist dabei ihre Art der Beschreibung. In ihrem Tagebuch hält sie weniger Gedanken und Erinnerungen fest, sondern vielmehr bestimmte Eindrücke der Orte an denen sie sich aufhält. Dies tut sie in Listenform, sodass was sie schreibt einer Filmaufnahme oder Fotografie gleicht: „Niedrige Decke, kleine Fenster, schwere Möbel. Schmutziger Teppich, schmuddelige Decke, im Geschirrschrank aus Holz sauber einsortiert ein blau-weißes Willow-Service.“
Anna und ihre Listen und Erinnerungen prägen sich ein und ich glaube, sie werden mich noch eine ganze Weile begleiten.