Rezension von Mona.
„Ein jeder rebelliert so gut er kann.“
(S. 56)
„Die Erfindung der Flügel“ ist das aktuellste Werk (Stand April 2015) der weltweit populären und hochgelobten US-amerikanischen Autorin Sue Monk Kidd. Dieses Buch ist die fiktive Geschichte einer Freundschaft, die nicht sein darf und gleichzeitig eine Hommage an zwei Schwestern, die amerikanische Grundfeste erschütterten und ein Zeichen der Menschlichkeit setzten.
Mit den allergrößten Erwartungen nahm ich diesen Roman zur Hand und stellte schon nach kurzer Zeit fest, dass sich die Autorin mitten in mein Herz schrieb und mir ein Buch bescherte, welches sich ganz allmählich in die Kategorie „Lieblingsbuch“ einreihte…
Die Geschichte setzt 1803 an, Schauplatz ist Charleston in South Carolina. Die elfjährige Sarah wehrt sich vehement gegen ihr Geburtstagsgeschenk – das Sklavenmädchen Hetty. Was für das damalige Verständnis als normal oder gar hoch angesehen galt, war für Sarah ein Graus. Obwohl sie seit Anbeginn ihres Lebens mit der Sklaverei konfrontiert wurde und ihre Eltern seit jeher diesen Akt der Selbstgefälligkeit aktiv nutzten und guthießen, stand dies für Sarah nicht zur Debatte. Ihr wurde zwar verboten ihr Sklavengeschenk abzulehnen oder „zurückzugeben“, trotzdem wählte Sarah den einzigen ihr möglichen Akt der Rebellion – sie behandelte die gleichaltrige Hetty ebenbürtig und brachte ihr das Lesen bei (für damalige Verhältnisse undenkbar).
Es entwickelt sich eine tiefgehende Freundschaft zwischen den Mädchen, die im Laufe der Geschichte immer wieder ob ihrer unterschiedlichen Lebensumstände auf die Probe gestellt wird und sich bewähren muss. Beide sind auf ihre ganz eigene Art und Weise Unterdrückte des damaligen Rollenverständnisses und Menschenbilds und bestreiten ihren eigenen Kampf, bei dem jeder auf sich gestellt ist.
„Mein Körper mag ein Sklave sein, aber nicht mein Geist. Bei dir ist es umgekehrt.“ (S. 273)
Sarah Grimké und ihre Schwester Angelina dienten als reale Vorbilder dieser Geschichte und obwohl sie den meisten Menschen wohl unbekannt sein dürften, werden sie definitiv als Charaktere dieser Geschichte in Erinnerung bleiben. Sarah war nie einverstanden mit den Moralvorstellungen der Südstaaten. Zum einen war es ihr nicht möglich, Menschen nach ihren Hautfarben zu beurteilen und somit Abstufungen zu machen, zum anderen litt sie stark unter der Rolle der Frau, die sich sittsam zu verhalten hatte und sich mit dem Dasein als Mutter und Ehefrau zu arrangieren hatte.
Sarah hatte schon immer höhere Erwartungen ans Leben. Ihr Traum war es, sich anhand von Büchern zu bilden und irgendwann einen Beruf zu ergreifen, mit dem sie Gegebenheiten verändern und Geschehnisse beeinflussen konnte. Als sie diesen Wunsch äußert, wird sie lauthals ausgelacht und muss sich eingestehen, dass der einfachste Weg ist, sich in die Umstände zu fügen. Allgemein ist Sarah eher jemand, der sich schnell einschüchtern lässt und dem es an Selbstvertrauen fehlt, was sich im Laufe der Geschichte noch gewaltig ändern soll.
„Dass ich dir Hetty zurückgebe. Als würde sie mir gehören. Als wäre der Besitz eines Menschen so normal wie das Atmen. Denn ungeachtet all meines Widerstandes gegen die Sklaverei atmete auch ich diese faulige Luft.“ (S. 27)
Hetty, die eigentlich Handful heißt, bildet das charakterliche Gegenstück zu Sarah. Obwohl ihre Figur reine Fiktion ist, wird sie so lebhaft und eindringlich beschrieben, dass sie vermutlich sehr lange im Gedächtnis bleiben wird. Als direktes Opfer der Sklaverei muss sie vielerlei körperliche Pein erdulden, was sie allerdings nicht in ihrer rebellischen Art bricht, sie jedoch an ihrem Dasein als Mensch zweifeln lässt.
„Wir waren keine vollwertigen Menschen. Ich hatte es nie geglaubt, ich hatte es nicht einen Tag in meinem Leben geglaubt, aber wenn man lange genug auf die Weißen hört, sieht irgendwann das Traurige, Entmutigende in einem selbst und man zweifelt. […] Zum ersten Mal empfand ich Schmerz und Scham über das, was ich war.“ (S. 155).
Wir begleiten beide Charaktere, wie sie von höchstgradig unzufriedenen Mädchen zu willensstarken und imposanten Frauen heranwachsen und, so ging es mir, den Leser sämtliche Ungerechtigkeiten selbst spüren lassen. Beide Sichtweisen wurden sehr eindringlich und vor allem nachvollziehbar beschrieben und ließen mich des Öfteren erschaudern. Gleichzeitig zeigt mir dieses Buch auf, wie dankbar unsere (zumindest mehr oder weniger) zivilisierte Gesellschaft für Menschen sein muss, die trotz drohender Gefahren ihre Ideale nicht vergaßen und handelten. Dafür braucht es nicht viel, das kann ein jeder von uns. Ob wir uns wie Sarah schnell einschüchtern lassen und heimlich rebellieren, oder dies wie Hetty offenkundig tun, spielt dabei keine Rolle.
Fazit: „Die Erfindung der Flügel“ ist in meinen Augen ein Meisterwerk, das die Themen Sklaverei, Menschenbild, Zivilcourage und Menschlichkeit aufzeigt und vermutlich niemanden unbeeindruckt lassen wird. Rund um diese Themen ist eine wirklich wunderschöne Geschichte geschrieben mit Charakteren, die mich unglaublich bewegten.
Eine absolute Herzensempfehlung!