Rezension von M. Gröls
François, ein Literaturprofessor und gemäßigter Misanthrop mit dem Spezialgebiet „Huysmans“ ist der Antiheld des provokanten Romans „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq. In den 2020er Jahren erleben Frankreich und halb Europa, dass sich der durch Zuzug und hohe Geburtenraten immer stärker werdende Islam nun auch konsequenterweise durch eine Regierungsmehrheit einer islamischen Partei manifestiert.
Präsident Ben Abbes, ein charismatischer und ehrgeiziger Eliteuni-Absolvent mit arabischen Wurzeln mit der Wirkung des „gutmütigen tunesischen Händlers um die Ecke“ erweist sich als kluger Taktiker im Range eines römischen Kaisers und nimmt geschickt die politischen Fäden auf, die eine in sich zerstrittene Elite nicht mehr zu halten gewillt war. Universitäten wie die altehrwürdige Sorbonne in Frankreich werden islamisch und das ganze Land steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Was bedeutet das für François und seinen Lehrstuhl?
Sex, Sex & immer wieder: Sex
Wer Houellebecq noch nicht kennt – sein zentrales Thema ist die Sexualität und hier insbesondere die Sexualität des Mannes. Auch das vordergründige gesellschaftliche Thema – die immer hohler werdende liberale Gesellschaft mit den nur noch pro forma hoch gehaltenen Idealen der Aufklärung – letztlich läuft bei Houellebecq alles auf diese zentrale Triebfeder menschlichen, oder jedenfalls
männlichen Handelns hinaus. François, der nicht nur Literaturprofessor sondern auch Alkoholiker ist, führt ein durch und durch erbärmliches Dasein. Alleine seine sexuellen Aktivitäten bringen ihm etwas Farbe ins Dasein und die dabei im Detail geschilderten Praktiken haben stets ins Unappetitliche und Absurde abzugleiten. Wer ein Buch dieses französischen Star-Intellektuellen liest, das muss einem als Leser einfach klar sein, verbringt nun mal einen nicht unerheblichen Teil seiner Lesezeit mit einigermaßen abseitigen und zum Teil ekelerregenden Sexualfantasien dieses Menschen.
Sozial ist François völlig isoliert. Die letzte große Liebe des Mittvierzigers ist die 22-jährige Myriam, die als Jüdin mit ihrer Familie nach Tel Aviv immigriert, denn, so Myriam, Machtgewinne des Islam sind „für Juden nie gut ausgegangen“.
Wer diese Zumutung übersteht, wird immerhin breit gestreut mit vielen kleineren und größeren genialen Einfällen und Analysen des Schriftstellers in Berührung kommen. Der nüchterne und klare Blick auf die Absurditäten und Fäulnisse der westlichen Gesellschaften und des Individuums in ihnen – das ist die eigentliche Begabung von Michel Houellebecq und der Grund, warum man seine Romane nicht schlankerhand als frauenverachtende und pornografische Literatur abtun kann. Das und natürlich die Tatsache, dass sich seine Bücher regelmäßig in ganz Europa als absolute Bestseller verkaufen. Seine Pointen sind dabei oft geradezu Nebennotizen und regen doch dazu an, dass Buch einen Moment zur Seite zu legen und nachzudenken. Etwa wenn er beiläufig bemerkt, die Vergangenheit sei immer rosig konnotiert (klar, weiß man), die Zukunft sei es übrigens auch und so trage der moderne Mensch lediglich auf sonderbare Weise an der Gegenwart schwer, wie an einem ständigen Ekzem.
Liest man die Feuilletons quer, so muss man sagen, dass „Unterwerfung“ nicht im Mindesten so offenkundig eine Satire darstellt, wie von einigen Rezensenten behauptet. Lediglich wenn man als Vorinformation die islamkritischen Äußerungen Houellebecqs kennt, kann man sich diese Lesart zusammenreimen.
Das Buch selbst liest sich, konsequent aus sich selbst heraus verstanden, lediglich als großes Gedankenexperiment: Was wäre wenn? Was wäre wenn die gegenwärtigen politischen Lager sich gegenseitig lähmen und so den politischen Repräsentanten einer immer größer werdenden islamischen Bevölkerung den Weg zur Spitze eröffnen? Wie würde sich ein solcher Primat des islamischen Glaubens auf die Gesellschaft auswirken und wie konkret vollziehen? Klar ist, dass eine These darauf hinauslaufen muss, dass man die männlichen Führungspersonen der Gesellschaft schon alleine deshalb auf seiner Seite hat, weil diesen nunmehr die Vielweiberei gestattet sei. „Die vierzigjährige Ehefrau für die Küche und die fünfzehnjährige Nebengattin für andere Dinge“. Ach Houellebecq. Er bleibt sich in seinen Fantasien eben treu.
Islamfeindlich, so viel sei zum Schluss noch bemerkt, ist das Buch entgegen vielfacher Kritik keineswegs. Das der Islam nicht gut wegkommt und kritisiert wird, dass muss er in liberalen Gesellschaften eben aushalten, so wie alle anderen religiösen oder politischen Ideologien auch.
- In Deutschland bei Dumont erschienen
- „Soumission“ lautet der Titel im frz. Original. „Unterwerfung“ ist zugleich die Übersetzung des Wortes „Islam“. Das arabische Wort Islam bedeutet also die Unterwerfung oder Hingabe unter Allah.