Rezension von Annemarie
Inhalt
Recht sprechen. Menschen verurteilen – das ist in der heutigen Gesellschaft insbesondre im Rechtswesen normal. Es gibt Länder, in denen schuldig gesprochenen Verurteilten sogar die Todesstrafe auferlegt wird. Doch ist das überhaupt rechtens? Darf man als Christ richten? Sollte man es tun?
Die Überschrift dieses Bandes gibt im Grunde genommen die Antwort. Aus Eugen Drewermanns Sicht ist dies kritisch zu sehen. Der sehr bekannte und umstrittene, zweifellos aber faszinierende Theologe, der schon viele ganz eigene Thesen aufgestellt hat, die dem doch eher kühlen Selbstverständnis auf der Welt so komplett widersprechen – ein Theologe, der die christliche Nächstenliebe predigt und lebt wie kaum ein anderer – ist der Ansicht, dass ein Ver-Urteilen sehr wohl bedacht werden sollte. Und genau das erläutert er in seinem Buch.
Hier legt er nun seinen Schwerpunkt auf die Vergangenheit des Richtens und Strafens, erläutert also, wie in früheren Kulturen bestraft wurde.
Der Band ist in Teile, Kapitel und Unterkapitel untergliedert. Nach einer Einleitung geht Drewermann zunächst auf das Strafen im Allgemeinen im menschlichen und tierischen Umfeld ein. Hier bezieht er von Anfang an klar Stellung, wie er zur Strafe selbst steht. Im Anschluss daran erklärt er, weswegen Macht die ganz wesentliche Grundlage für ein Bestrafen ist. Dies führt er anhand mehrerer Kulturen aus. Im folgenden Teil befasst sich der Autor mit unterschiedlichen Rechtsvorstellungen in den Hochkulturen der Vergangenheit, etwa im Alten Ägypten, im Alten Griechenland, im Römischen Reich und im damaligen Israel. Dieser Teil ist mit beinahe 200 Seiten sehr umfassend. Am ausführlichsten ist jedoch der letzte Teil. In diesem wird ausgeführt, wie Strafen durch Staaten oder Vertreter von Staaten als Darstellung und Inszenierung von Grausamkeit dienen – oft, um das Volk zum Gehorsam aufzurufen. Literaturverzeichnis, Autorenregister und Bildnachweis schließen das Werk ab.
Das Werk ist als Lesebuch gestaltet. Es enthält nur sehr wenige Abbildungen, dafür aber unten auf fast jeder Seite Fußnoten, die teilweise bis zu Dreiviertel der gesamten Seite bedecken.
Rezension
Wer Eugen Drewermann schon einmal gelesen hat, weiß: Kürze ist nun nicht gerade seine Stärke. Das heißt, dass dieser Band sehr umfangreich ist. Mit über 560 Seiten ist er alles andere als schnell durchzulesen und dementsprechend auch groß und schwer. Als ich ihn das erste Mal in den Händen hielt, fühlte ich mich schon etwas an einen Backstein erinnert.
Nun aber zum Inhalt: Drewermann vertritt die Auffassung, dass das Strafen nicht dem Grundsatz des christlichen Selbstverständnisses entspricht. Ein Christ sollte seiner Meinung nach nicht strafen. Wer mit dieser Haltung so gar nichts anfangen kann oder in einem Bereich arbeitet, in dem diese Haltung problematisch werden könnte, sollte sich die Anschaffung dieses Bandes vielleicht noch einmal überlegen. So empfehle ich den Band Staatsanwälten, Beamten im Justizvollzug und Kontrolleuren nur bedingt, sofern diese nicht ihren Job wechseln wollen. Andererseits können gerade diese Berufsgruppen auch dazu angeregt werden, das Selbstverständliche des Strafens zu hinterfragen. Denn Drewermann argumentiert ausgesprochen logisch und schlüssig. Sein Wissensschatz, den er den Lesern hier zugänglich macht, ist geradezu enorm. So erfährt man in aller Ausführlichkeit, wie in ausgewählten früheren Kulturen mit dem Betrafen umgegangen wurde und was davon vor dem christlichen Hintergrund zu halten ist.
Demzufolge sollte man als Leser ein tiefergehendes Interesse an historischen Themen haben – dass man Christ sein sollte, ist vor dem Hintergrund des Gesagten ebenfalls sehr sinnvoll – und bereit sein, sich auf ein sehr umfangreiches Buch einzulassen. Wer diese Voraussetzungen aber erfüllt, kann aus diesem Werk viele Inspirationen zum eigenen Umgang mit Strafe, zum eigenen Bestrafen selber ziehen. Und wird dadurch vielleicht auch ermuntert, das Bestrafen zu überdenken.
Fazit
Ein ausgesprochen umfangreicher Band darüber, wie in früheren Hochkulturen bestraft wurde und was davon aus christlicher Sicht zu halten ist. Allen, die sich für Geschichte und die Auffassungen des Christentums interessieren, sehr zu empfehlen.